Was treibt Männer im jungen Alter dazu, sich der Hamas anzuschliessen? Und warum schrecken sie nicht davor zurück, Verbrechen zu begehen? Der palästinensisch-israelische Psychologe Ahmad Mansour (47) hat der «NZZ am Sonntag» diese Fragen in einem Interview beantwortet.
«Menschen radikalisieren sich ganz allgemein – egal ob es sich um Rechtsradikalismus oder Islamismus handelt –, weil die jeweilige radikale Ideologie ihnen Orientierung, Halt und klare Worte offeriert», erläutert der Islamismus-Experte. Die Welt werde potenziellen Rekruten in Schwarz-Weiss-Bildern erklärt. Mitglieder radikaler Ideologien würden sich fühlen, als gehörten sie einer Elite an.
Narzissmus, Empathielosigkeit, Manipulation
Mansour war in seiner Jugend selbst Teil der radikalislamistischen Kreise um die Hamas, kennt sich mit dem Weltbild der palästinensischen Terrororganisation dementsprechend gut aus. «Ich wollte irgendwo dazugehören», sagt er heute. Er glaubte damals, zu einer Gruppe zu gehören, die «irgendwann einmal die Welt beherrschen würde».
Die Führungskräfte der Hamas würden sich von den einfachen Kämpfern in ihrer Persönlichkeit deutlich unterscheiden, so Mansour. Die Anführer zeichneten sich durch Narzissmus, Empathielosigkeit und die Fähigkeit andere manipulieren zu können aus. «Die Leute mit dieser Persönlichkeitsstruktur sind nie diejenigen, die sich selbst mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft jagen», betont Mansour.
«Sie geilen sich an Schmerzen und Mord auf»
Angesprochen auf die jüngsten Gräueltaten in Israel, findet Mansour deutliche Worte. Die jungen Männer, die Babys in den Kopf schossen, nennt er «Psychopathen». «Wie andere eben Pornos gucken, geilen sie sich an Schmerzen, Folter, Vergewaltigung und Mord auf. Sie empfinden Lust daran, andere Menschen zu enthaupten», analysiert Mansour. Die Hamas-Terroristen würden nicht aus einer Not heraus handeln, sondern aus purem Hass.
«Bei mir war es so, dass ich zwar Juden hasste und Selbstmordattentäter cool fand, aber nie hätte ich eine Waffe nehmen und schiessen können», sagt Mansour über seine eigenen Erfahrungen. Die Brutalität der Mitglieder sei unterschiedlich – die Ideologie kontrolliere nicht die Empathiefähigkeit.
«Wer im Nahen Osten Schwäche zeigt, wird gefressen»
Jahrelang rekrutierte Mansour Kinder und Jugendliche, gab Koranunterricht und engagierte sich in der Lokalpolitik. Als er mit 20 Jahren sein Psychologiestudium in Tel Aviv begann, änderte sich etwas. «Durch die Begegnungen mit denen, die ich als Feinde betrachtete und die sehr schnell zu Freunden wurden, aber auch durch die Bücher, die ich las, begann ich zu zweifeln.» Nach einem langen Prozess und der Isolation in seinem Heimatdorf gelang ihm schliesslich der Ausstieg.
Zu den Drohungen der israelischen Armeeführung als Reaktion auf den Angriff hat Mansour nur eines zu sagen: «Wer im Nahen Osten Schwäche zeigt, wird gefressen». Da Israel diese Schwäche bereits gezeigt habe, müsse sie korrigiert werden. Sonst könnte sie zur Existenzbedrohung werden. (nad/gs)