Schon seit drei Monaten kämpft die russische Armee in der Ukraine. Doch es fehlt noch immer an grossen Erfolgen für die Putin-Kämpfer. Zuerst mussten sie sich nach einer verlorenen Schlacht aus Kiew zurückziehen und sich auf die Ostukraine konzentrieren. Aber auch dort stecken sie jetzt Verluste ein, zum Beispiel in der Grossstadt Charkiw.
Wie lange kann Russland einen bisher erfolglosen Angriffskrieg noch aufrechterhalten? Nicht mehr lange, glaubt Militär- und Russlandexperte Gustav Gressel (43). «Wenn das so weitergeht, ist die russische Armee im Juni mit der Offensivkraft am Ende», sagt Gressel, der für den «European Council on Foreign Relations (ECFR)» arbeitet, dem «Tages-Anzeiger».
Hilfe von Nato-Ländern ist wichtig
Für seine Einschätzung nennt Gressel der Zeitung einige Gründe. Nicht der fehlende Geländegewinn sei der entscheidende Faktor für die drohende Niederlage. «Problematischer ist, dass man die eigenen Verluste nicht minimieren konnte. Bei Panzerkräften und mechanisierter Infanterie ist das Abnutzungsverhältnis für Russland immer noch viel zu hoch», so der Militärexperte.
Die Ukrainer können Abnutzungen wohl besser verhindern als die Russen. Dazu komme, dass in der Ukraine immer mehr Waffen aus Nato-Ländern eintreffen. So sind unterdessen unter anderem amerikanische Panzerhaubitzen des Typs M777 auf Kriegsbildern zu sehen.
Die Taktik der russischen Soldaten bestehe darin, ihre ukrainischen Pendants einzukesseln. Bei diesem Vorgehen seien aber jeweils die Flanken des Angreifers sehr verwundbar, schreibt der «Tages-Anzeiger». Und genau diese attackieren die Ukrainer. In Charkiw konnte sie so zuletzt grosse Landgewinne verzeichnen.
Russen finden sich nicht zurecht
Auch die Verteidigungsanlagen der ukrainischen Armee seien ein wichtiger Faktor für den fehlenden Erfolg Russlands. Schon seit der Annexion der Krim 2014 hat die Ukraine damit begonnen, aufzurüsten. Dies zahlt sich nun aus.
Zudem hat die russische Armee Mühe, sich im ukrainischen Gelände fortzubewegen. Und bis heute hat sie es nicht geschafft, die Lufthoheit zu erringen. Für viele Beobachter ist dies eine der überraschendsten Erkenntnisse des bisherigen Krieges. Dazu kommen logistische Probleme und Personalmangel. «Die Ukraine hat schneller Kräfte in den Donbass verlegt als die Russen», sagt Gressel.
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Entscheidung in den nächsten Wochen
Falls die Erfolge für Putins Truppen weiterhin ausbleiben, könnte die russische Offensivkraft tatsächlich bald am Ende sein, glaubt der Experte. Dann wäre der Krieg zwar nicht zu Ende, aber der von Russland angestrebte Bewegungskrieg würde sich zu einem Stellungskrieg entwickeln.
Das wäre dann ein weiterer Vorteil für die Ukraine, so Gressel zum «Tages-Anzeiger». Die Ukraine habe die russische Armee allerdings noch nicht bis zu einem Punkt abgenutzt, an dem sie in den umkämpften Bereichen selbst zu grösseren Gegenangriffen ausholen könne. Noch nicht. «Das wird sich in den nächsten Wochen entscheiden.» (obf)