Seit dem Ende der Feuerpause schlägt die israelische Armee erneut mit Wucht zu. Allein in der Nacht auf Samstag seien 400 Terrorziele im gesamten Gazastreifen zerstört worden, so das Militär. Zunehmend im Visier der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) ist der Süden – ausgerechnet dort, wo 1,7 Mio. Palästinenser vor den Kämpfen Schutz suchten.
Über Flugblätter werden die Bewohner aufgefordert, das Flüchtlingslager von Chan Yunis zu verlassen und an die Küste im Südwesten oder an die ägyptische Grenze zu fliehen. Man wolle so viel Schaden an der Zivilbevölkerung abwenden, wie möglich, heisst es aus Jerusalem. Doch auch im Süden schlagen Raketen aus Israel ein. Und die Bodenoffensive soll dort in den kommenden Monaten in den Süden ausgeweitet werden.
Droht Massenvertreibung aus Gaza?
Ist das Elend der Bevölkerung nur Kollateralschaden eines Verteidigungskrieges? Experten wie Omer Bartov (69) haben da ihre Zweifel. Der israelische Geschichtsforscher befürchtet, dass hinter den Evakuierungen Pläne zu einer zukünftigen Annexion Gazas, die Besiedlungen durch Juden und Massenvertreibungen vom Gazastreifen stecken könnten.
«Es gibt viele Mitglieder der Regierung, der Knesset und des Militärs, die das palästinensische Volk als solches gerne von der Landkarte und aus dem Bewusstsein streichen wollen», schreibt der Wissenschaftler in einem Essay.
Medienberichten aus der Region zufolge, hat die Netanyahu-Regierung Ägypten aufgefordert, die Flüchtlinge aus Gaza aufzunehmen, und angeboten, Teil der ägyptischen Staatsschulden zu übernehmen. Verlockend für das wirtschaftlich kriselnde Land – auch wenn Präsident Abdel Fattah al-Sisi (69) bislang eine Umsiedlung der Palästinenser auf die Sinai-Halbinsel strikt ablehnt.
Die Welt soll Flüchtlinge aus Gaza aufnehmen
In einem offenen Brief im «Wall Street Journal» appellieren die israelischen Politiker Ram Ben Barak (65) und Danny Danon (52) an die EU und die USA, Flüchtlinge aus Gaza aufzunehmen.
Im Interview mit der BBC stösst der Abgeordnete Simcha Rothman (42) in ein ähnliches Horn: «Die Welt und die Uno sollen sich um die Palästinenser kümmern und sie woanders ansiedeln». Den Grund für die Vertreibung liefern zwölf Knessetabgeordnete. Sie wollen ein Gesetz, das jüdische Siedlungen im Gazastreifen erlaubt.
Israel kündigt Pufferzonen auf Gaza-Gebiet an
Offiziell schaut Israel nicht sehr viel weiter über den Tellerrand seiner militärischen Operation. Man kämpfe bis zum «totalen Sieg», habe Benjamin Netanyahu (74) am Wochenende betont, berichtet «The Times of Israel». Eine Vision für Gaza präsentiert Israel noch immer nicht. Es kündigt lediglich militärische Pufferzonen auf Gaza-Gebiet an.
So erklärte Netanyahus Sicherheitsberater Mark Regev (63) am Samstag gegenüber Medien, «Israel wird eine Sicherheitshülle brauchen. Es werden keine Hamas-Leute mehr Grenzen überqueren und unsere Zivilisten töten.» Wie viel Land des nur 14 Kilometer schmalen Streifens die Pufferzonen einnehmen werden, wurde nicht gesagt.
Israel ist nicht gleich Israel
Während die Weltgemeinschaft eine Zweistaatenlösung fordert, schliesst Netanyahu aus, dass Israel ein von der Palästinensischen Autonomiebehörde regiertes Palästina akzeptieren würde.
Benjamin Netanyahu und seine rechtspopulistischen Koalitionspartner seien nicht Sprachrohr der gesamtisraelischen Bevölkerung sagt Aktivist Zev Perlmutter (47) gegenüber Blick, «es ist eine Regierung, die über kurz oder lang keine Zukunft mehr hat. Die Ansichten einiger rechtsradikaler Politiker werden nicht von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt». Innenpolitischer Widerstand gegen Netanyahu wachse auch weiter während des Krieges. «Doch wie lange der Krieg dauern wird, und was danach kommt, weiss hier in Israel niemand», so der Unternehmer aus Tel Aviv.