Das Massaker vom 7. Oktober 2023 zwingt Israel zur Gegenwehr. Die Sicherheit im Land, das wichtigste Versprechen an das jüdische Volk, will die Regierung wiederherstellen. Wenn nötig mit brachialer Gewalt. Als gäbe es kein Morgen. Premierminister Benjamin Netanyahus (74) Fokus, gefangen im Tunnelblick, liegt auf der Zerschlagung der Hamas.
Die Folgen laufen tagtäglich und weltweit über den Äther. Ganze Stadtteile Gazas liegen in Schutt und Asche. Tausende trauern um ihre Toten. Über eine Million Palästinenser fliehen aus ihren Häusern, harren gedrängt in überfüllten Flüchtlingslagern im Süden Gazas aus. Ihre Versorgung ist katastrophal.
Doch es gibt ein Morgen. Nach dem Krieg. Aus Zerstörung und Elend müssen wieder Leben und Alltag entstehen. Alleine schafft es der geschundene Küstenstreifen nicht. Doch wer übernimmt die Führung nach dem Konflikt – und vielleicht ohne Hamas?
Weltgemeinschaft fordert Zweistaatenlösung
Israel hat bereits zu Kriegsbeginn abgewunken. Man wolle keine Verantwortung für Gaza übernehmen, sagte Verteidigungsminister Joav Gallant (65) noch Mitte Oktober. In NBC News erklärt der ehemalige Premierminister Naftali Bennett (65), Israel würde allenfalls den Norden Gazas als militärische Pufferzone kontrollieren. Schliesslich gelte es, das eigene Land zu schützen.
Die Weltgemeinschaft ist sich in einem Punkt ziemlich einig: Es muss eine Zweistaaten-Lösung her. Ein Palästina, das aus dem Westjordanland, aus Gaza und dem Osten Jerusalems besteht. Doch unter wessen Schutz?
António Guterres (74) schliesst während einer Pressekonferenz am Montag die UN für die Aufgabe aus. «Ich sehe keine Lösung in einem Protektorat der Vereinten Nationen», sagt der UN-Generalsekretär und schlägt für die Übergangsphase eine von den USA und den arabischen Staaten verantwortete Verwaltung vor.
Ägypten und Jordanien wollen keine Flüchtlinge
Die EU will an der Friedensmission für Gaza mitwirken, sagt Josep Borrell (76). Der Chef-Diplomat diskutierte am Montag in der Videokonferenz mit den Aussenministern einen Rahmenentwurf. Doch auch dieser sieht vor allem die Führungsrolle bei den Vereinigten Staaten und der Arabischen Liga.
Die Araber ins Boot holen, das will auch Washington. Im diplomatischen Marathon geht US-Aussenminister Antony Blinken (61) Klinken putzen, besucht Saudi Arabien, Katar, Jordanien, Ägypten, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate – allesamt im Frieden mit Israel. Auf Tatendrang in Sachen Gaza stösst er nicht. «Wie können wir über die Zukunft Gazas sprechen, wenn wir nicht wissen, wie Gaza nach dem Krieg ausschauen wird?», musste sich Blinken beispielsweise vom jordanischen Amtskollegen Ayman Safadi (61) anhören. Auch der ägyptische Aussenminister, Sameh Shoukry (71), nannte Zusagen für einen Friedensprozess «voreilig».
Jordanien und Ägypten grenzen an palästinensisches Gebiet. Sie sind wirtschaftlich geschwächt und wollen auf keinen Fall neue Flüchtlinge aus Gaza. So solle die Europäische Union (EU) eine Million Flüchtlinge aus Gaza aufnehmen, habe ein hochrangiger ägyptischer Beamter einem EU-Amtskollegen vorgeschlagen, berichtet die Financial Times.
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«Es braucht einen Regierungswechsel in Israel»
Dass niemand so recht das Gaza-Problem anpacken will, wundert Nahost-Experte Stephan Stetter (51) nicht. «In der israelischen Regierung herrscht eine gewaltige Uneinigkeit über das Schicksal Gazas. Israel ist politisch blockiert», sagt der Politologe an der Universität der Bundeswehr in München (D) im Blick-Gespräch. Solange es nicht einer klaren Zweistaatenlösung zustimme, würden die arabischen Länder das Thema nicht offensiv angehen.
«Der politische Rahmen muss stimmen», sagt der Experte. Zudem fürchteten die Länder Radikalisierungen in der palästinensischen Bevölkerung, die zu Terror führen könne. Gaza wäre für die arabischen Nachbarn auch eine innenpolitische Herausforderung.
Wie in vielen Konflikten müsse ein Gesamtpaket geschnürt werden, so der deutsche Wissenschaftler, «ohne einen Regierungswechsel oder zumindest einen Wechsel besonders extremer Minister in Israel wird es wohl nicht gehen. Das Land muss die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) anerkennen». Damit tut sich Benjamin Netanjahu aber schwer. Die PA könne in ihrer derzeitigen Form nicht die Verantwortung für die Küstenenklave übernehmen, sagte der Premier am vergangenen Sonntag. Gaza hat kein Wasser, keinen Strom, keinen Frieden – und wohl auch, Stand heute, keine Zukunft.