Hitlergruss und Parolen wie «Ausländer raus» und «Deutschland den Deutschen»: Auf der deutschen Ferieninsel Sylt haben junge Urlauber mit Nazi-Gesten und -Sprüchen für Empörung gesorgt. Bei diesem inzwischen allgegenwärtigen Rechtsextremismus in Deutschland hatte man auch mit einem Erfolg der AfD bei den regionalen Wahlen im Bundesland Thüringen gerechnet, wo die Partei bei den letzten Landtagswahlen auf 23,4 Prozent der Stimmen kam.
Doch der sonst erfolgsverwöhnte Thüringer AfD-Co-Chef Björn Höcke (52) musste am Sonntag einen herben Dämpfer hinnehmen: Der erwartete Durchmarsch der AfD in ihrer Hochburg blieb aus. Alexander Marguier (54), Chefredaktor des deutschen Politmagazins «Cicero», weiss, wo die AfD Schwäche gezeigt hat.
Gegenüber Blick sagt Marguier: «Dass die AfD die Erwartungen nicht erfüllen konnte, liegt wohl am Personal, mit dem sie angetreten ist. Hier war die CDU bei den direkten Persönlichkeitswahlen mit ihren Kandidaten klar im Vorteil.»
Duell in der Stichwahl
Im Bundesland im Osten Deutschlands konnten insgesamt 1,7 Millionen Wähler regionale Regierungen und Parlamente neu bestellen. Auch 13 der 17 Thüringer Landräte – Hauptverwaltungsbeamte eines Landkreises, dem in der Regel mehrere Gemeinden angehören – mussten gewählt werden.
Im vergangenen Jahr hatte die AfD in Thüringen den ersten Landrat feiern können. Zu weiteren AfD-Landräten reichte es am Sonntag nicht – noch nicht. Entschieden wird in Stichwahlen am 9. Juni, wo sich an mehreren Orten hauptsächlich CDU- und AfD-Kandidaten gegenüberstehen. Im Landkreis Hildburghausen schaffte es mit Tommy Frenck sogar ein Neonazi in die Stichwahl um den Landratsposten.
Sogar Höckes Co-Parteichef Stefan Möller (49) musste eine Schlappe hinnehmen. Bei der Oberbürgermeisterwahl in der Landeshauptstadt Erfurt holte er nur knapp 20 Prozent der Stimmen und kommt somit nicht einmal in die Stichwahl.
Auffallend war zudem: Linke, SPD und Grüne, welche die Landesregierung stellen, wurden abgestraft. Auch das von der ehemaligen Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht (54) gegründete Bündnis BSW kam nicht auf Touren.
Stimmungstest für den Herbst
Alexander Marguier bilanziert: «Diese Wahlresulate sind für Höcke ein Dämpfer. Sie zeigen, dass die AfD nicht unstoppbar ist.» Komme dazu, dass sich die zerstrittene AfD in Saalfeld-Rudolstadt in zwei Lager aufspaltete, die sich gegenseitig bekämpften. Für Marguier ist klar, dass die CDU mit besseren Kandidaten und der Unterstützung weiterer Parteien die Stichwahlen gewinnen wird.
AfD-Höcke und seine Liebe zur Schweiz
Die Regionalwahlen dienen als Stimmungstest für die Landtagswahl am 1. September. Da traut Marguier der AfD wieder einen grösseren Erfolg zu, als sie jetzt bei den lokalen Wahlen erzielt hat. «Die Landtagswahlen geht es mehr um die Wahl von Gremien als um Persönlichkeiten.» Eine Prognose sei jedoch schwierig, da Ereignisse der AfD Auftrieb geben, aber auch schaden könnten, wie jetzt Spionage- und Bestechlichkeitsvorwürfe zeigten.
Die Schlagzeilen um die AfD führten sogar so weit, dass sich Marine Le Pens (55) Rassemblement National von der deutschen Partei distanzierte und die AfD aus der rechtspopulistischen EU-Fraktion Identität und Demokratie ausgeschlossen wurde.
Bezugnehmend auf solche Skandale sagt der Bochumer Politikwissenschaftler Oliver W. Lembcke (55) gegenüber der Deutschen Presseagentur dpa über die Wahlen in Thüringen: «Die AfD hat es in der Weise vermasselt, weil sie das schlechtmöglichste Bild in den vergangenen Wochen abgegeben hat.»