Die Ukraine will ihren Süden zurückerobern, so viel steht fest. Bereits vor zehn Tagen verkündete der ukrainische Verteidigungsminister Oleksyj Resnikow (56), dass man jede Menge Soldaten in den Süden des Landes schicken wolle, um die Russen zu vertreiben.
Kein Wunder: Mit Mariupol, Berdiansk und Melitopol kontrollieren die russischen Truppen unter Kreml-Chef Wladimir Putin (69) für die ukrainische Wirtschaft wichtige Handelsstädte am Asowschen Meer. Während die Ukraine bereits erste Gegenangriffe in der Region verkündet hat, vermutet der australische Militärexperte Mick Ryan, dass es erst in den kommenden Wochen so richtig losgehen wird.
In den letzten Monaten gab es eine Reihe von ukrainischen Angriffen auf die russischen Verteidigungsanlagen im Süden des Landes. Dadurch konnten sie bedeutende Teile ihres Landes im Süden befreien. Die Eile hat einen bestimmten Grund: Russische Besatzer sollen bereits die Annexion der besetzten Südukraine vorbereiten und der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (44) will genau das um jeden Preis vermeiden.
Die Dreifaltigkeit der ukrainischen Schlachten
Um den Süden zurückzuerobern, verfolgen die Ukrainer laut Ryan eine spezielle Taktik, die drei grosse Punkte umfasst. Daher nennt der Experte die Strategie auch das «Drei-Punkte-Programm». Konkret: Die «tiefe» Schlacht, die «rückwärtige» Schlacht und den Nahkampf. Auf Twitter erläutert der Militärexperte die einzelnen Punkte im Detail.
Bei der Tiefenschlacht – oder «tiefgreifende» Schlacht – handelt es sich laut Ryan um eine Reihe von Massnahmen, die die Durchführung des Nahkampfes bestimmen. «In vielerlei Hinsicht ist diese bereits im Gange, mit der Strategie der langsamen Zerstörung, die man aktuell bei den ukrainischen Truppen erkennen kann», so Ryan.
Sie umfasst laut dem Experten auch die gezielte Bekämpfung der russischen Logistik, der Luftabwehr, der Drohnenabwehr und der russischen Reserven und Nachschublieferungen von der Krim aus. Diese Art des Kampfes beinhaltet ebenfalls das Ausschalten von russischen Kommandeuren und Entscheidungsträgern, die sich vor Ort befinden. Zudem wolle man russische Soldaten zum Ziel von «psychologischen Operationen» machen, um ihre Moral und ihren Zusammenhalt zu schwächen.
Ryan thematisiert auch die rückwärtige Schlacht, also quasi Operationen im Hintergrund. «Hierbei handelt es sich um eine Vielzahl von logistischen Aktivitäten, die die Durchführung der Nah- und Fernkämpfe unterstützen.» Dazu gehören Logistik, Instandsetzung und Bergung, medizinische Unterstützung, Koordinierung mit der Luftwaffe, Öffentlichkeitsarbeit sowie die Unterstützung strategischer Einflussnahme auf russische Truppen.
Die ersten beiden Punkte seien die Grundlage für den entscheidenden Nahkampf. «Der Nahkampf umfasst komplexe Angriffe mit kombinierten Waffen, einschliesslich Einbruch und Ausbeutung. Daran beteiligt sind mechanisierte und motorisierte Infanterie, Panzer, Pioniere, Artillerie, Luftunterstützung und Lufttransport, Logistik und eine Reihe anderer Elemente der Armee auf dem Schlachtfeld.»
«Es wird eine blutige Angelegenheit werden»
Ryan betont: «Dieser Nahkampf ist der ultimative Ausdruck des Willens der Ukrainer. Sie müssen sich durch mehrere russische Verteidigungslinien kämpfen, Artilleriebeschuss aushalten, feindliche Kampffahrzeuge und Artillerie zerstören – und so viele russische Soldaten wie möglich töten.»
Der Militärexperte schliesst seine Analyse mit der düsteren Gewissheit: «Die kommende Offensive im Süden wird eine blutige Angelegenheit werden.» Keiner der beiden Parteien wolle in der Südukraine nachgeben. «Die Russen haben ihre Absicht, das von ihnen besetzte Gebiet zu halten, sehr deutlich gemacht. Aber wie die Ukrainer während des gesamten Krieges bewiesen haben, können sie die Russen überlisten und bekämpfen.» (chs)