Klimaschutz, Corona und Europa: Bisher ging es bei diesen Themen im deutschen Wahlkampf um die Wurst. Nun aber gewinnt alles an Schärfe: wegen der Currywurst.
Seit sich der ehemaligen SPD-Kanzler Gerhard Schröder (77) auf Linkedin zur Streichung der deutschen Nationalwurst und Fleisch in einer VW-Kantine gewehrt hat, laufen die Diskussionen heiss. Schröder hatte geschrieben: «Wenn ich noch Aufsichtsrat von VW wäre, hätte es so etwas nicht gegeben.»
Als einstiger Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, dem zweitwichtigsten Anteilseigner im grössten deutschen Unternehmen, ärgere er sich über die Abschaffung der berühmten VW-Currywurst aus Umweltgründen. Schröder: «Vegetarische Ernährung ist gut, ich selbst mache es phasenweise auch. Aber grundsätzlich keine Currywurst? Nein!»
Die Wurst – ein Kraftriegel
Sozialdemokrat Schröder denkt bei seiner Kritik vor allem ans Wohlergehen der Mitarbeiter an den Fliessbändern: «Currywurst mit Pommes ist einer der Kraftriegel der Facharbeiterin und des Facharbeiters in der Produktion. Das soll so bleiben.»
Seine koreanische Frau Soyeon Schröder-Kim (53) doppelte auf Instagram nach: «Wir gehen gerne zu Konnopke, Curry 36 und Bier’s Kudamm 195.»
Medien machen sich lustig
Die deutschen Medien machen sich über den Streit um die Currywurst lustig. Sie bringen Schröders Kampf um die berühmte VW-Wurst mit den Wahlen vom 26. September in Verbindung.
Die «Welt» schreibt: «Schröders Intervention und sein Spruch, immerhin der beste (einzige?) Beitrag der SPD zum Wahlkampf 2021, machen die Causa Curry nun zur Staatsaffäre.»
Der «Spiegel» schreibt: «Die Currywurst ist hier nur ein emotional aufgeladenes Symbol für ein Gefühl, das er mit vielen anderen teilen möchte. Mit vielen Männern, nicht nur seiner Generation; womöglich auch mit vielen Facharbeitern, die einst Stammwähler der SPD waren, und heute politisch heimatlos sind.»
Die «Süddeutsche Zeitung» schreibt: «Für sozialdemokratische und sonstige Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer geht überhaupt nichts ohne den Verzehr von Würstchen auf Festen und Versammlungen, sonst können sie gleich zu Hause bleiben.»
SPD legt zu
Ist es wegen der Currywurst? Schröders SPD hat jedenfalls in den vergangenen Tagen bei Umfragen klar zugelegt und zu den Grünen aufgeschlossen. Noch besser siehts bei der Kanzlerfrage aus: SPD-Kandidat Olaf Scholz (63) lässt Armin Laschet (60) von der CDU und Annalena Baerbock (40) von den Grünen klar hinter sich.
VW-Vorstandschef Herbert Diess (62) – ein Österreicher – nutzte die Aufregung um die Wurst, um bei Linkedin seinerseits die Arbeit von Chefgastronom Nils Potthast vorzustellen. «Weniger Fleisch, mehr Gemüse, bessere Zutaten – ein immenser Fortschritt, viel zeitgemässer», meinte Diess. «Gutes Essen ist wichtig, es ist entscheidend für die Gesundheit, die Stimmung und damit auch für die Produktivität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.» Und: «Unsere Currywurst gibt es jetzt auch vegan.»
Nur in einer Kantine gestrichen – nicht in allen
Sein Sprecher machte die empörte Öffentlichkeit zusätzlich darauf aufmerksam, dass die Currywurst nur in einer einzigen Kantine auf dem Werksgelände gestrichen sei. In allen anderen ist sie weiter zu haben. Zu spät, denn da hatte die Debatte schon längst an Schärfe gewonnen.
Und bei VW ist die Wurst weiter der absolute Renner. Der Autokonzern produziert jährlich millionenfach seine eigene Currywurst und hat dazu eine eigene Sauce im Angebot, die auch extern verkauft wird. Quasi eines der meistgebauten Produkte des Konzerns. In den 1950er-Jahren hielt der Konzern gar noch eigene Schweine für das nötige Fleisch.