Die Corona-Welle macht auch vor dem Norden nicht halt. Norwegen, Dänemark und Finnland verzeichnen derzeit die höchsten Fallzahlen seit Beginn der Pandemie. Deshalb wurden dort die Massnahmen bereits wieder verschärft. Nur in Finnland lässt man sich etwas mehr Zeit. Ob es zu Verschärfungen kommt, soll in den nächsten Tagen entschieden werden. Die Zeit drängt. Omikron ist im Anmarsch. Die Gesundheitsbehörden gehen davon aus, dass die Variante in wenigen Tagen die Delta-Variante verdrängen dürfte.
Anders sieht es dagegen in Schweden aus. Dort steigen die Zahlen zwar auch an, jedoch viel weniger schnell als in den umliegenden Ländern. Mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von rund 115 pro 100'000 Einwohner hat das Land eine der niedrigsten Inzidenzen in ganz Europa. In Dänemark beispielsweise ist sie fast sechsmal so hoch. Was machen die Schweden anders?
«Verbreitete Immunität»
Dass Schweden vergleichsweise so gut dasteht, überrascht selbst Virologen im eigenen Land. «Vielleicht, weil wir am Anfang der Pandemie so hart getroffen wurden. Es könnte sein, dass wir deshalb eine weiter verbreitete Immunität in der Bevölkerung haben», sagt Niklas Arnberg, Professor für Virologie an der Universität Umeå, zur Zeitung «Aftonbladet».
Auch ein Blick auf den Impffortschritt liefert keine Antwort auf die relativ entspannte Situation im Land. Wie die Zeitung «TAZ» schreibt, sind rund 70 Prozent der Gesamtbevölkerung geimpft – bei den über 16-jährigen sind es 82 Prozent. Damit liegt Schweden in Europa eher im Mittelfeld. Und: In Stadtteilen Göteborgs mit hohem Migrationsanteil war beispielsweise Ende November noch mehr als die Hälfte der Bevölkerung ungeimpft.
Schwedens Gesundheitsbehörde erwartet den Höhepunkt der jetzigen Infektionswelle für Mitte Dezember. Um einen starken Anstieg zu vermeiden, hat das Land bereits jetzt reagiert. Seit Anfang Dezember gelten neue Kontaktbeschränkungen.
So können Veranstalter einen Impfausweis oder Abstandsregeln verlangen – ob und wie sie es umsetzen, bleibt aber ihnen überlassen. Denn seit Beginn der Pandemie setzt Schweden auf die Eigenverantwortung der Bevölkerung.
Nichtsdestotrotz: Schweden führte im Dezember als «Vorsichtsmassnahme» neue Corona-Einschränkungen ein. Der Corona-Impfpass wurde zum Beispiel eingeführt. Er muss bislang bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen mit mehr als hundert Teilnehmern vorgelegt werden. Im Klartext: 1G!
«Wir bestrafen keine Leute»
Aussergewöhnlich ist auch, dass Abstands- und Hygieneregeln bisher lediglich empfohlen wurden. Das Tragen von Masken kam nur in Ausnahmesituationen, etwa während der Rushhour, zum Einsatz. Auch auf Schulschliessungen wurde weitgehend verzichtet – ebenso auf einen Lockdown. «Wir haben keine Polizisten, die Leute bestrafen, weil sie nicht auf sich aufpassen», sagt der Staatsepidemiologie und Berater der Weltgesundheitsorganisation, Johan Giesecke (72), gegenüber der Zeitung.
Mit seiner liberalen Corona-Strategie ist das Land aber nicht immer gut gefahren. Am Anfang der Pandemie scheiterte es massiv beim Schutz der älteren Bevölkerung. Anfänglich gab es auch schwerwiegende Mängel bezüglich Personal, Schutzkleidung, Testmöglichkeiten und Laborkapazitäten. Die Folge: viele Tote in kurzer Zeit. Ende Juni 2020 hatte Schweden bereits 5300 Opfer zu beklagen. (bra)