Nochmals sechs Tote nach Horror-Beben
«Die Gefahr ist noch nicht vorüber»

Schon wieder kam es zu schweren Erdbeben in der Türkei. Müsste das Schlimmste denn jetzt nicht vorbei sein? Nein, sagt ein Experte des deutschen Geoforschungszentrums und erklärt die Hintergründe.
Publiziert: 21.02.2023 um 16:36 Uhr
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Erdbebenwelle im Süden der Türkei: Zahlreiche Gebäude sind zerstört und Zehntausende Menschen ums Leben gekommen. Im Bild ein eingestürztes Wohnhaus in der Stadtgemeinde Turkoglu.
Foto: Anadolu Agency via Getty Images
Tanja von Arx
Tanja von ArxAuslandredaktorin

Schon wieder gab es Erdbeben in der Türkei. Sechs Menschen kamen dabei ums Leben. 294 Personen wurden verletzt, 18 davon schwer, wie die Katastrophenschutzbehörde Afad am Dienstag mitteilte.

Afad zufolge kam es am Montagabend zu zwei schwereren Beben, die in der türkischen Region Hatay im Abstand von drei Minuten zu spüren waren. Sie erreichten Werte von 6,4 und 5,8 auf der Richterskala, wobei 10 der höchste Wert ist – nur gerade zwei Wochen nach der Erdbebenkatastrophe, die Zehntausende Tote sowohl in der Türkei als auch in Syrien forderte. Seit Montagabend hat es laut Afad ausserdem rund 90 Nachbeben gegeben.

Aber müsste eigentlich das Schlimmste nicht längst vorbei sein? Frederik Tilmann, Leiter der Sektion Seismologie am deutschen Geoforschungszentrum GFZ, sagt auf Anfrage zu Blick: «Solche heftige Nachbeben sind normal.» Die Gefahr von Beben steige sogar noch. Experte Tilmann erklärt dies vor dem Hintergrund der unterirdischen Plattentektonik.

Plattenreibung sorgt immer wieder für Erschütterungen

In der Türkei gebe es zwei grosse, aktive seismische Zonen. «Die Beben ereigneten sich entlang der sogenannten ostanatolischen Verwerfungszone.» Dort träfen die anatolische und die arabische Platte aufeinander und würden sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 1,4 Zentimeter pro Jahr seitlich aneinander vorbeibewegen. «Durch diese Reibung kommt es in unregelmässigen Abständen zu zum Teil starken Erdbeben», so Tilmann.

In den letzten 100 Jahren war die seismische Aktivität entlang der ostanatolischen Verwerfungszone laut Tilmann ungewöhnlich ruhig. Der Experte zu Blick: «Bereits nach den Hauptbeben vom 6. Februar bestand die Befürchtung, dass die verbleibenden Gebiete der ostanatolischen Verwerfungszone durch die Spannungsverlagerung zusätzlich belastet wurden und damit möglicherweise künftige Beben zeitlich vorverlagert werden.» Sprich, dass es in kurzen Abständen zu mehreren Nachbeben kommt.

«Es war nur eine Frage der Zeit»

Zu den Katastrophenbeben sei es gekommen, weil sich über den langen, ruhigen Zeitraum Spannungen aufgebaut hätten, sagt Tilmann. «Es war nur eine Frage der Zeit.» Der südwestliche Teil der ostanatolischen Verwerfungszone sei auf einer Länge von 180 Kilometern und bis in eine Tiefe von etwa 20 Kilometer aktiviert worden, über die gesamte seismogene, brüchige Kruste.

Tilmann: «Das Gebiet, das von den jüngsten Beben betroffen war, liegt weiter südlich.» Hier gehe es auch noch um die afrikanische Platte und um einen sogenannten Dreifachknotenpunkt von tektonischen Plattengrenzen: Neben der ostanatolischen Verwerfungszone sei die kontinentale Plattenrandverwerfung Dead Sea Transform Fault beteiligt, die sich bis zum Golf von Akaba erstrecke, und der Zypernbogen, eine Zone der afrikanischen Platte, welche unter die anatolische Platte abtauche.

Es kommt wohl noch zu weiteren Nachbeben

Laut Tilmann sind weitere Nachbeben zu erwarten. «Leider kann man nicht sagen, wann die Gefahr vorüber ist.» Problematisch sei vor allem, dass durch die bisherigen Beben viele Gebäude vorgeschädigt seien. «Oft genügen dann kleinere Beben, um die Gebäude zum Einsturz zu bringen.»

Die türkischen Behörden haben die Menschen in der Region Hatay dazu aufgerufen, nicht in ihre Häuser zurückzukehren. Medien berichten, dass es in der Provinz zu wenig Zelte gebe und viele Leute dennoch in beschädigten Häusern übernachten würden. Die Katastrophenschutzbehörde teilt mit, sie habe bereits in der Nacht auf Dienstag 6000 weitere Zelte in die Region geliefert.

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