Neue Verfassung – Kurden befürchten das Schlimmste
Erdogan will Alleinherrschaft weiter ausbauen

Kurden ausschalten und noch mehr Macht für sich: Der türkische Präsident liebäugelt schon wieder mit einer neuen Verfassung.
Publiziert: 03.02.2021 um 08:28 Uhr
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Aktualisiert: 04.05.2021 um 09:30 Uhr
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Am Montag verkündete Erdogan, dass er eine Verfassungsänderung in Betracht ziehe.
Foto: AFP
Guido Felder

Nach nur vier Jahren dürfte in der Türkei eine weitere Verfassungsänderung anstehen. Offiziell lässt Präsident Recep Tayyip Erdogan (66) verlauten, dass er alles «Militärische» streichen und die nationale Sicherheit steigern wolle. In Tat und Wahrheit, so prophezeien seine Kritiker, geht es um einen weiteren Machtausbau und die Ausschaltung seiner Gegner, der Kurden.

Erdogan hatte die mögliche Schaffung einer komplett neuen, «zivilen» Verfassung am Montag angekündigt. «Vielleicht ist es an der Zeit, dass die Türkei erneut über die Verfassung spricht», sagte er nach einer Kabinettssitzung. Die Verfassungen von 1961 und 1982 seien nach Militärputschen zustande gekommen und enthielten untilgbare Spuren «militärischer Vormundschaft».

Details verriet Erdogan nicht. Er wolle das Thema zuerst noch mit seinen Verbündeten der Nationalistischen Bewegung MHP besprechen.

Kurden in Angst

Die Kurden befürchten nun, dass sie ihre Rechte verlieren könnten. Erdogans Aussagen kommen nämlich einige Wochen nachdem MHP-Chef Devlet Bahceli (73) eine Verfassungsänderung vorgeschlagen hatte, um die prokurdische Volkspartei HDP wegen Separatismus zu verbieten. Sechs Millionen Stimmen würden so zum Schweigen gebracht.

Erdogan sagte: «Die Arbeit an einer Verfassung kann nicht im Schatten von Gruppen erfolgen, die mit der Terrororganisation PKK verbunden sind – mit Menschen, deren mentale und emotionale Bindungen zu ihrem Land gebrochen sind.»

Tiefere Hürden für sich selber

Erdogan-Gegner befürchten weiter, dass der Präsident die 50+1-Regel streichen wolle. Aktuell muss ein Kandidat die Mindesthürde von 50 Prozent plus einer Stimme erreichen, um Präsident zu werden. Da Erdogan und seine islamisch-konservative Partei AKP immer mehr an Rückhalt verlieren, könnte ihm diese Regel bei den nächsten Wahlen zum Verhängnis werden.

Man erwartet daher, dass Erdogan die Verfassung zu seinen Gunsten drehen wird: Präsident wird, wer am meisten Stimmen erhält, egal mit wie vielen Prozenten.

Bereits 2017 hatte Erdogan die Verfassung ändern lassen und sich die Doppelfunktion als Staatspräsident und gleichzeitig Regierungschef zugeschanzt. Damals hatte er versprochen, damit die Demokratie auszubauen, Minderheiten zu schützen, die Wirtschaft zu stärken, den Terror zu beenden und den Fall der Lira zu stoppen.Oppositioneller warnt

Der in der Schweiz lebende Angehörige der Opposition, Hakan Parlak (45), hatte schon vor vier Jahren vor der Verfassungsänderung und den Versprechungen gewarnt. Er sagt heute dem BLICK: «Das Verfassungsreferendum im Jahre 2017 konnte keines der dringlichen Probleme der Türkei lösen. Alle meine Befürchtungen, die ich damals äusserte, sind eingetroffen und sogar schlimmer als erwartet.»

Die Lira befinde sich seither im Sturzflug, die Inflation und die Arbeitslosigkeit seien chronisch zweistellig, die Bevölkerung sei komplett polarisiert und das Land aussenpolitisch isoliert.

Parlak: «Der Systemwechsel 2017 war meiner Meinung nach ein grosser Fehler. Man sollte ihn rückgängig und nicht mit einer weiteren Verfassungsänderung noch schlimmer machen.»

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