Der türkische Präsident bohrt auf fremdem Territorium nach Gas
Erdogans explosives Spiel im Mittelmeer

Gigantische Erdgasvorkommen machen das Mittelmeer zum Pulverfass. Mit allen Mitteln versucht die Türkei, die Quellen anzuzapfen, und legt sich dazu in Libyen auch mit dem Westen und mit Russland an. BLICK erklärt die dramatische Lage.
Publiziert: 25.06.2020 um 22:46 Uhr
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Aktualisiert: 30.03.2021 um 16:11 Uhr
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Aktion «Blaue Heimat»: Türkische Soldaten trainieren im Mittelmeer.
Foto: Getty Images
Guido Felder

Auf dem Mittelmeer spielen sich dramatische Szenen ab: Türkische und griechische Boote rammen sich, ein türkisches Schiff nimmt eine französische Fregatte provozierend mit dem Feuerleitradar ins Visier, Kampfjets drängen Flugzeuge ab. Die Zeichen über dem sonst so ruhigen Meer stehen auf Sturm.

Es geht dabei um den wohl fünftgrössten Erdgasschatz der Welt, den sich die Türkei unter den Nagel reissen will. Zwischen Zypern, Ägypten, Libanon und vor allem vor Israel lagern schätzungsweise rund 3,5 Billionen Kubikmeter Erdgas. Damit könnte die Schweiz rund 1000 Jahre lang versorgt werden. Zudem liegen da auch rund 270 Milliarden Liter Erdöl.

Bohrungen in fremden Gewässern

Brisant: Vor den Ufern von EU-Mitglied Zypern hat die Türkei begonnen, Bohrungen durchzuführen – und zwar in Gewässern, welche die griechische Inselregierung an westliche Gesellschaften vergeben hat. Schon die Namen der Arbeitsschiffe beschreiben die Kompromisslosigkeit der Türkei: «Fatih» bedeutet Eroberer, und «Yavuz» hiess der Herrscher, der im 15. Jahrhundert grosse Teile des Nahen Ostens für die Osmanen einnahm.

Auf der anderen Seite haben sich mehrere Staaten zum «Gasforum Ost-Mittelmeer» zusammengeschlossen, um die Bodenschätze zu fördern: Ägypten, Griechenland, Israel, Italien, Jordanien, Palästina und Zypern. Um das Gas zu transportieren, ist die 2000 Kilometer lange Pipeline Eastmed über Zypern und Kreta zum europäischen Festland geplant.

Migranten als Druckmittel

Solche Pläne sieht die Türkei überhaupt nicht gerne, da sie als Drehscheibe für Energietransporte massiv an Einfluss verlieren würde. Präsident Recep Tayyip Erdogan (66) reagiert nicht nur auf dem Wasser mit Drohgebärden, er hat auch ein weiteres Druckmittel in der Hand: die Millionen Flüchtlinge, die er gegen einen Milliardenbetrag und auf Bitten der EU in seinem Land zurückhält. Erst im März hatte er die Grenzen kurz geöffnet und so die EU einige Wochen in einen Ausnahmezustand versetzt.

Erdogan macht zudem einen weiteren Schachzug, der noch gefährlicher werden könnte als die Provokationen auf dem Meer: Durch das Umgehen des Uno-Waffenembargos und die Entsendung von Truppen nach Libyen hat er sich den international anerkannten libyschen Ministerpräsidenten Fajis Al-Sarradsch (60) zum Freund gemacht. Denn der hat es den Türken zu verdanken, dass er noch im Sattel sitzt und die sogenannte Libysche Nationale Armee des abtrünnigen Generals Khalifa Haftar (76) von der Hauptstadt Tripolis weggedrängt wurde.

Die Lage in Libyen ist sehr verworren. Länder wie die USA, Italien, Frankreich und Grossbritannien unterstützen die offizielle Regierung von Fajis Al-Sarradsch, der sich aber nun der Türkei zuwendet. Auf der anderen Seite stehen Länder wie Russland, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate, die General Khalifa Haftar unterstützen.

Griechische Inseln einverleibt

Als Belohnung für seine Intervention hat die offizielle libysche Regierung mit Erdogan ein völkerrechtlich illegales Seeabkommen geschlossen. Erdogan nimmt es als Grundlage, um sein Hoheitsgebiet für die Suche nach Bodenschätzen auszuweiten. So präsentierte er eine Karte, auf welcher griechische Ägäis-Inseln wie Limnos, Lesbos, Chios und der Osten Kretas unter die Seeansprüche der Türkei fallen. Das neu beanspruchte Seegebiet nennen die Türken «Mavi Vatan», was Blaue Heimat bedeutet. Bereits führen sie auf diesem Gebiet Marineübungen durch.

Als weitere Belohnung will sich Erdogan in Libyen auch einen Luft- und Marinestützpunkt sichern. Damit hätte er gegenüber Europa einen weiteren Trumpf zur Erpressung in der Hand: Millionen von Migranten suchen eine Möglichkeit für die Überfahrt, zudem ist Libyen für Italien und Frankreich ein wichtiger Öllieferant.

Mit Russen auf Konfrontationskurs

Nicht nur der Westen, auch Moskau ist empört über Erdogans Vormarsch in Libyen. Denn auch Russland plant in Libyen einen Stützpunkt, und zwar in Gebieten, in denen die türkischen Truppen am Kämpfen sind. Auf eine von Russland geforderte Waffenruhe gingen die Türken nicht ein. Ein Stopp der Kampfhandlungen hätte nämlich zur Folge, dass sich die Streitkräfte von General Haftar erholen könnten. Dieser kontrolliert zusammen mit dem Abgeordnetenhaus, Libyens Parallelparlament, einen Grossteil des Ostens und Südens des Landes.

Sowohl Russland als auch die Türkei kämpfen in Libyen vor allem mit privaten Kampftruppen und Söldnern. Lisa Watanabe (46) vom Center for Security Studies der ETH Zürich beobachtet diese Entwicklung mit Besorgnis: «Es besteht die Gefahr einer weiteren Eskalation, da die von der offiziellen Regierung und der Türkei unterstützten Kräfte versuchen werden, weiter ostwärts zu den libyschen Ölfeldern vorzudringen. Wo Russland die rote Linie setzen wird, wird mitentscheiden, wie weit sie kommen.»

Erdogan will mehr Macht

Dass es zu einem direkten Krieg der Grossmächte kommen wird, glaubt Lisa Watanabe nicht. «Russland und die Türkei werden versuchen, einen direkten Konflikt in Libyen zu vermeiden.» Klar sei jedoch, dass der Konflikt mit Griechenland sowie die Invasion in Libyen die ohnehin schon instabile Lage im Mittelmeerraum noch mehr verschärften.

Die EU ist alarmiert. In einer gemeinsamen Erklärung haben die Aussenminister Mitte Mai die Türkei unmissverständlich aufgefordert, vor der zypriotischen Küste «Drohungen zu unterlassen und nichts zu unternehmen, das gutnachbarlichen Beziehungen schadet».

Für Nikos Anastasiadis (73), Präsident der Republik Zypern, ist klar, welches Ziel Erdogan anpeilt: «Präsident Erdogan ist ein Unruhestifter. Er will die Türkei zu einer Supermacht im Mittelmeer machen.»

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