Natallia Hersche (52) ist frei, müde – und schüchtern. «Grüezi», sagt die schweizerisch-belarussische Doppelbürgerin am Freitagabend am Flughafen Zürich zu wartenden Journalistinnen. Und dann leise: «Ich habe noch nie ein Interview gegeben. Ich weiss gar nicht, wie das geht.»
Noch am Morgen sass sie in einer Gefängniszelle in Minsk. Dass sie freikommt, wusste sie nicht. «Um 6 Uhr hiess es: ‹Aufstehen. Du hast fünf Minuten zum Essen, fünf zum Packen.›» Sie scherzt: «Ich wäre gerne erst zum Coiffeur oder zur Maniküre gegangen, aber jetzt stehe ich halt so hier.»
Die ohnehin zierliche Frau ist sichtlich schmaler geworden. «Es geht mir aber emotional und körperlich gut», versichert sie.
Lukaschenko entschied über Hersches Schicksal
17 Monate lang war die schweizerisch-belarussische Doppelbürgerin in Haft. Lukaschenkos Folterknäste sind berüchtigt, rund 1100 politische Gefangene sitzen zurzeit dort nach Schätzungen ein. Hersche wurde mit subtilen Methoden gefoltert: «Sie haben zum Beispiel das Radio den ganzen Tag dröhnend laut gestellt. Bis 22 Uhr liefen ganz laut durchgehend Nachrichten, Musik, Lukaschenko-Reden.»
Die schweizerisch-belarussische Doppelbürgerin Natallia Hersche (52) wurde am 19. September 2020 in Minsk bei einem «Frauenmarsch» gegen das Regime von Alexander Lukaschenko (67) verhaftet.
Ein Polizist beschuldigte Hersche, ihm die Sturmhaube runtergerissen und ihn dabei verletzt zu haben. Den Schaden bezifferte er auf 1000 Rubel (rund 358 Franken). Im Dezember 2020 wurde Hersche zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Nach dem drakonischen Urteil forderten 83 Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier in einem offenen Brief die Freilassung Hersches und weiterer politischer Gefangener in Belarus.
Hersche wurde mehrfach verlegt, trat in den Hungerstreik und verweigerte Zwangsarbeit. Vertreter der Schweizer Botschaft in Minsk besuchten sie insgesamt 14 Mal. Ein Gnadengesuch lehnte Hersche stets ab.
Die schweizerisch-belarussische Doppelbürgerin Natallia Hersche (52) wurde am 19. September 2020 in Minsk bei einem «Frauenmarsch» gegen das Regime von Alexander Lukaschenko (67) verhaftet.
Ein Polizist beschuldigte Hersche, ihm die Sturmhaube runtergerissen und ihn dabei verletzt zu haben. Den Schaden bezifferte er auf 1000 Rubel (rund 358 Franken). Im Dezember 2020 wurde Hersche zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Nach dem drakonischen Urteil forderten 83 Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier in einem offenen Brief die Freilassung Hersches und weiterer politischer Gefangener in Belarus.
Hersche wurde mehrfach verlegt, trat in den Hungerstreik und verweigerte Zwangsarbeit. Vertreter der Schweizer Botschaft in Minsk besuchten sie insgesamt 14 Mal. Ein Gnadengesuch lehnte Hersche stets ab.
Hersches Freilassung ist für die Schweiz ein diplomatischer Coup. «Frau Hersches Freilassung hing genau an einem Mann», sagt EDA-Vertreter Johannes Matyassy: Diktator Alexander Lukaschenko (67). Einen «Deal» sei die Schweiz dafür keinesfalls eingegangen, stellt er klar.
So bekam Ignazio Cassis sie frei
Insgesamt 14-mal besuchten Vertreter der Schweizer Botschaft Hersche in Minsk, brachten Nachrichten und Briefe von ihrem Bruder, ihren Kindern und ihrem Partner Robert Stäheli aus Tübach SG. Ob ihre Partnerschaft die lange Haftzeit überlebt hat, weiss Natallia Hersche noch nicht.
Das «entscheidende Momentum» für die Schweizer Diplomatie ergab sich laut Matyassy, als Lukaschenko Ignazio Cassis (60) zur Bundespräsidentschaft gratulierte. In seiner Antwort Anfang Jahr habe Cassis ausführlich über die Menschrechtssituation und Natallia Hersche geschrieben. «Dann hats noch ein Momentchen gedauert.»
Hersche ist der Schweizer Regierung sehr dankbar. «Ich lebe seit 13 Jahren hier. Ich weiss nicht, ob ich ohne Schweizer Pass den Mut gehabt hätte, gegen das Regime zu protestieren.»
«Ich bereue nichts»
Auch im Gefängnis gab sie nicht auf. Eine Mitinsassin, die belarussische Basketballspielerin Alena Leutschanka (38), beschrieb Hersche als rebellisch und standhaft. Wer hat ihr die Kraft dafür gegeben? «Gott», sagt Hersche.
Sie würde alles noch mal genau so machen. «Ich habe nichts Falsches gemacht. Ich bereue nichts», stellt Hersche klar. Sie will sich für die anderen Gefangenen einsetzen – und auch wieder hinreisen. «Belarus ist schliesslich meine Heimat.»
Wann, ist noch offen. Daneben wartet Tochter Violetta (23) auf ihre Mutter. Hersche freut sich auf zu Hause, vor allem auf eine heisse Wanne: «Ich nehme jetzt erst mal ein Bad.»