Vor dem ersten russisch-ukrainischen Krieg 2014 hatte kaum jemand in Westeuropa je vom Donbass gehört. Die ostukrainische Region ist touristisch wenig attraktiv, politisch von Kiew vernachlässigt – und ihre wirtschaftliche Blütezeit hat die einstige Bergbauregion längst hinter sich.
Warum also will Wladimir Putin (69) die arme ostukrainische Region unbedingt erobern?
Der Donbass – oder das Donezbecken, wie das Gebiet mit den beiden Regionen Luhansk und Donezk auf Deutsch korrekt heisst – liegt im äussersten Osten der Ukraine an der Grenze zu Russland. Bereits 2014 hat Putin die mehrheitlich russischsprachige Region angegriffen. Sein Ziel damals wie heute: eine Landbrücke zur seit 2014 russisch besetzten Halbinsel Krim. Ohne Kontrolle über den Donbass bleibt Putin nur die 2018 gebaute Krim-Brücke, um das eroberte Gebiet auf dem Landweg zu erreichen.
Slowjansk ist schon einmal (fast) gefallen
Putin behauptet, die russischsprachige und russischstämmige Bevölkerung im Donbass werde von Kiew diskriminiert. Seine Regierung spricht offen von einem «Genozid» an der russischen Minderheit im Donbass. Schuld daran sei die «Nazi-Regierung» in Kiew. Seinen brutalen Krieg gegen die Region bezeichnet er als «Sonderaktion zur Entnazifizierung» der Region.
Seit 2014 halten prorussische Separatisten mit Unterstützung aus Moskau grosse Gebiete des ukrainischen Territoriums besetzt. Unter anderem sind die Städte Luhansk und Donezk zu international nicht anerkannten russischen Volksrepubliken geworden. Auch die 100’000-Einwohner-Stadt Slowjansk war kurzfristig unter russischer Kontrolle, konnte im Juli 2014 von den Ukrainern aber wieder zurückerobert werden.
Putin will Schmach von 2014 vergessen machen
Die bevorstehende Schlacht um Slowjansk hat deshalb auch einen hohen symbolischen Charakter. Putin will die Schmach von 2014 vergessen machen. Slowjansk soll ihm diesmal nicht wieder entgleiten.
Laut dem britischen Geheimdienst befinden sich Putins Truppen derzeit nur noch rund 15 Kilometer von der Stadtgrenze entfernt. Alleine in der vergangenen Woche sind sie rund 5 Kilometer vorangekommen. Seit etwa zwei Tagen legen die russischen Truppen eine strategische Pause ein.
Experten vermuten, dass sich Putins Soldaten erholen und neu aufrüsten, um in den kommenden Tagen den Sturm auf Slowjansk und die Nachbarstadt Kramatorsk zu lancieren. Fallen die beiden Städte, wäre faktisch der gesamte Donbass unter russischer Kontrolle. Putin könnte das in Moskau als Teilsieg verkaufen.