Liz Truss wird neue Premierministerin des Vereinigten Königreichs und damit Nachfolgerin von Boris Johnson (58). Die Mitglieder der regierenden Konservativen Partei wählten die bisherige Aussenministerin mit mehr als 81'000 Stimmen zu ihrer neuen Vorsitzenden.
Truss zieht damit auch in den Regierungssitz Downing Street ein. Die 47-Jährige setzte sich im internen Wahlkampf gegen den früheren Finanzminister Rishi Sunak (42) durch, der rund 60'000 Stimmen erhielt, wie der Chef des zuständigen Fraktionskomitees, Graham Brady, am Montag in London mitteilte. Königin Elizabeth II. (96) wird Truss an diesem Dienstag auf ihrem Schloss Balmoral in Schottland zur Premierministerin ernennen. Damit wird Truss die dritte Frau an der britischen Regierungsspitze nach Margaret Thatcher (1925 - 2013) und Theresa May (65).
Zuerst gegen Brexit, dann dafür
Die gut 175'000 Parteimitglieder konnten in den vergangenen Wochen per Brief oder online abstimmen, wer die neue Regierung anführen und in die Downing Street einziehen wird. Sunak und Truss hatten sich zuvor in mehreren Abstimmungsrunden der konservativen Abgeordneten durchgesetzt – unter diesen war allerdings Sunak noch der klare Favorit.
Truss wird dem rechten Flügel der Partei zugeordnet. Einst eine entschiedene Brexit-Gegnerin, betont sie nun schon länger die Vorteile des EU-Ausstiegs. Die 47-Jährige konnte im innerparteilichen Wahlkampf vor allem mit dem Vorhaben überzeugen, trotz enorm hoher Inflation sofort die Steuern senken zu wollen. Ausserdem sammelte sie bei der Parteibasis – die deutlich älter, männlicher und wohlhabender ist als der Durchschnitt der britischen Bevölkerung – Punkte mit einer konfrontativen Linie gegenüber der EU und populistischen Äusserungen zu Flüchtlingen, Linken, Umweltaktivisten sowie gesellschaftlichen Minderheiten.
Als grösste Herausforderung für die designierte Regierungschefin gelten die hohen Energiepreise. Es wird erwartet, dass Truss innerhalb weniger Tage ihre Pläne im Kampf gegen die steigenden Kosten für Strom und Gas vorstellt. Fraglich ist allerdings, ob sie es schaffen wird, die Konservative Partei nach einem harten Wahlkampf zu einen – in der Fraktion hatte Sunak mehr Unterstützer. In der Aussenpolitik wird befürchtet, dass Truss den Streit mit der EU um Brexit-Regeln für Nordirland weiter eskaliert.
Empfang bei Queen Elizabeth II. in Schottland
Sunak warf seiner Rivalin vor, mit ihren wirtschaftlichen Plänen «Märchen» zu erzählen und inszenierte sich als Politiker, der sich nicht scheut, in der Krise auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen.
Nach der Verkündung findet bereits am Dienstag der Wechsel an der Spitze der britischen Regierung statt. Johnson wird sich ein letztes Mal als Premier an die Bevölkerung wenden und danach sein Amt abgeben.
Sowohl er als auch seine Nachfolgerin reisen danach nach Schottland und werden nacheinander von Queen Elizabeth II. empfangen, die auf ihrem Landsitz Schloss Balmoral ihre Sommerferien verbringt. Dass die Audienzen dort stattfinden werden und nicht im Londoner Buckingham-Palast, ist äusserst ungewöhnlich und hat mit den Mobilitätsproblemen der mittlerweile 96 Jahre alten Monarchin zu tun.
«Hasta la vista, baby»
Johnson scheidet nach zahlreichen Skandalen auf Druck seines Kabinetts aus dem Amt aus. Die Partygate-Affäre um verbotene Lockdown-Feiern in Johnsons Amtssitz hatten ihn ins Wanken gebracht. Mehrere weitere Skandale und sein Umgang damit brachten ihn letztlich zu Fall. Als prominente Mitglieder seines Kabinetts zurücktraten und damit einen Massenexodus aus den Reihen der Regierung auslösten, sah der 58-Jährige sich zum Rücktritt gezwungen.
Ein mögliches Comeback gilt jedoch nicht als ausgeschlossen. Johnson selbst machte mit den Worten «Hasta la vista, baby» im Londoner Unterhaus bereits Andeutungen. Noch immer hat der Politiker, der zunächst einfacher Abgeordneter bleiben wird, eine starke Unterstützerbasis in der Partei.
Berichten zufolge sollen einige davon bereits ein Misstrauensvotum gegen seine Nachfolge vorbereiten, um Johnson möglichst schnell zurück ins Amt zu holen. Entscheidend wird dafür sein, ob eine parlamentarische Untersuchung zur Partygate-Affäre zu dem Schluss kommt, dass Johnson wissentlich das Parlament in die Irre geführt hat. Dies könnte gegebenenfalls zum Verlust seines Mandates führen. (SDA)