Auf einen Blick
Die tödliche Attacke auf der Bourbon Street in der US-Stadt New Orleans am Neujahrstag schockierte die Welt. Der US-Armee-Veteran Shamsud-Din Jabbar (†42) raste mit einem gemieteten Pickup-Truck in eine Menge feiernder Menschen, riss 14 in den Tod und verletzte 35 weitere. Der Todesfahrer war laut US-Behörden Sympathisant des Islamischen Staates (IS). Auf den ersten Blick scheint der Angriff ein isoliertes Ereignis zu sein. Experten warnen aber, dass der IS möglicherweise eine neue Phase des Terrors eingeläutet hat – subtil, effektiv und schwer greifbar.
Der Anschlag in New Orleans ist nicht das erste Anzeichen dafür, dass der IS neue Wege geht. Bruce Hoffmann, Experte für Terrorismus am «Council on Foreign Affairs», merkte gegenüber «The Economist» an, dass 2024 «das Jahr der Wiederauferstehung» der Organisation war. Tatsächlich sank die Anzahl der dschihadistischen Anschläge im Westen seit 2016 stetig, der IS war sichtbar geschwächt. Doch im letzten Jahr stieg die Zahl der dschihadistisch motivierten Anschläge in den USA und Europa wieder an. Was steckt hinter dem Wiedererstarken?
Dschihadistische Aktivität im letzten Jahr vervierfacht
Und auch in Europa sind Dschihadisten seit Oktober 2023, seit dem Beginn des Gaza-Kriegs, wieder deutlich aktiver. Besonders in Erinnerung blieb der grosse Anschlag auf eine Konzerthalle in Moskau, die das Werk des afghanischen IS-Ablegers war. Warum erstarkt der IS ausgerechnet jetzt? Die Organisation mag Instabilität – und kann globale Krisen geschickt für seine Zwecke ausnutzen. Die vielen Konfliktherde auf dieser Welt – insbesondere der Nahost-Konflikt – bieten der Gruppe den perfekten ideologischen Unterbau.
Hinzu komme eine neue Taktik bei der Rekrutierung und Durchführung von Anschlägen, erklärt der französische Terrorismusexperte Olivier Roy gegenüber Blick. Was unterscheidet also diesen Angriff in den USA von den früheren, oft gross angelegten Operationen des IS? Es ist die gezielte Rekrutierung einzelner Täter. Radikalisierung geschieht heute zunehmend im Stillen – durch soziale Medien und massgeschneiderte Propaganda. «Diese neue Strategie zielt nicht auf den militärischen Sieg ab, sondern auf psychologische Wirkung.» Komplexe und auffällige Anschläge sind heute weniger ein strategisches Ziel als eine Methode, um Aufmerksamkeit zu gewinnen und Angst zu schüren.
Denn wie Olivier Roy erklärt: «Wir haben es hier mit einer Inszenierung der einstigen Grösse zu tun.» Der IS ist nur noch ein Schatten der Organisation, die vor fast einem Jahrzehnt die schreckliche Anschlagswelle in Europa auslöste, bei der Hunderte von Menschen getötet wurden. Sie verfügt nicht mehr über die Basis oder die Mitglieder, die sie damals hatte, und ihre Ideen sind nur noch für eine winzige Minderheit attraktiv. Dennoch hat sie überlebt – was die wichtigste und oft schwierigste Herausforderung für eine solche Gruppe darstellt.
Was kann dagegen getan werden?
Einzeltäter wie der Täter von New Orleans stehen also neu im Zentrum dieser neuen Strategie. Sie agieren scheinbar unabhängig, sind aber durch Propaganda inspiriert. «Alles deutet auf eine sogenannte inspirierte Tat hin», sagte Terrorismusexperte Hans-Jakob Schindler der Frankfurter Rundschau. Der Angriff in New Orleans ist ein Paradebeispiel dafür: Ein Einzeltäter wird zum Gesicht einer globalen Ideologie, die Menschen verängstigt und Gesellschaften destabilisiert. Und das alles kosteneffizient, dezentral und kaum vorhersehbar. Das Ziel: Die Bedrohung unsichtbar machen, bis sie zuschlägt. Ein unschlagbarer Vorteil für den IS – und ein Albtraum für Sicherheitsbehörden.
Experte Olivier Roy erklärt, dass es kaum möglich sei, weitere Massnahmen gegen diese Art von Terror zu ergreifen. «Man kann nicht viel mehr tun, als das, was bereits getan wird – internationaler Geheimdienst-Austausch und die Überwachung von Reisenden und dem Internet.»