Es war einer der grössten Justizskandale in der Geschichte von Philadelphia. Christopher W.* (62) hatte unschuldig 25 Jahre in der Todeszelle gesessen – für sechs Morde, die ihm die Staatsanwaltschaft trotz klarer Beweise für seine Unschuld angehängt hatte.
Nach seiner Freilassung wurde er selbst zum Kläger gegen die Behörden. Das Tragische: Gerechtigkeit wird der 62-Jährige nicht mehr erleben. Der sechsfache Vater wurde jetzt auf dem Weg zu einer Beerdigung erschossen, wie der «Philadelphia Enquirer» berichtet.
W. wurde 1989 wegen sechsfachen Mordes – darunter ein Dreifachmord – zum Tode verurteilt. Er pochte stets auf seine Unschuld. Es dauerte drei Jahrzehnte, bis ein neu gegründeter Ausschuss der Staatsanwaltschaft von Philadelphia den Fall noch einmal aufrollte. Dabei kam raus: Die Hauptbelastungszeugen und Informanten hatten nachweislich gelogen, und ein ganzer Berg von forensischen Beweisen, der W. als Täter ausschloss, wurden von der damaligen Staatsanwaltschaft vor der Verteidigung vertuscht.
Er bekam kein Schmerzensgeld
W. wurde im Februar 2021 von einem Berufungsgericht in allen Mord-Fällen für unschuldig erklärt und kam frei. Seither arbeitete der Ex-Häftling als selbstständiger Zimmermann und daran, wieder ein Teil der Gesellschaft zu werden. Er gründete eine eigene Baufirma und engagierte sich für Menschen, die unschuldig im Knast sitzen.
Mehr Knast-Geschichten aus den USA
Der Wiedereinstieg war laut seiner Familie hart. Besonders, weil er keine finanzielle Entschädigung für die Jahre bekam, die er unschuldig im Gefängnis sass. Der Bundesstaat Pennsylvania, in der die Stadt Philadelphia liegt, zahlt kein Schmerzensgeld an zu Unrecht verurteilte Personen.
«Obwohl wir eigentlich unschuldig sind, glaubt das nicht jeder»
Im Dezember 2021 verklagte er die Stadt Philadelphia, den ehemaligen Staatsanwalt Lynne Abraham, den Prozess-Staatsanwalt David Desiderio und 17 Polizisten vor dem Obersten Gerichtshof auf Schadensersatz. Wegen Verzögerungen durch Corona sollte es aber erst im neuen Jahr die erste Anhörung geben.
Die wird W. nicht mehr erleben. Letzten Freitag fuhr er mit dem Auto zu einer Beerdigung eines ehemaligen Zellennachbarn. Als er aus seinem Wagen ausstieg, kam ein unbekannter Mann auf ihn zu, zückte eine Waffe und schoss ihm in den Kopf. Den Ermittlern zufolge deutet vieles darauf hin, dass die Tat geplant war. Doch von dem Schützen fehlt bislang jede Spur.
Theophalis W.*, der als W.s angeblicher Komplize 1989 ebenfalls verurteilt und nachträglich freigesprochen wurde, fürchtet nun um sein Leben. «Ich muss sehr auf der Hut sein – wie alle, die mit Chris in Verbindung standen», sagt er zum «Philadelphia Enquirer». Was genau er damit meinte, erklärte W. allerdings nicht. Er fügte nur hinzu: «Obwohl wir eigentlich unschuldig sind, glaubt das nicht jeder.» (jmh)
* Namen bekannt