Ein Flugzeug auf dem Weg von einer europäischen Hauptstadt in die andere – abgefangen und umgeleitet in Belarus. Von einem autoritären Regime.
Der Vorfall rund um Ryanair-Flug FR4978 und die Verhaftung des Passagiers und Lukaschenko-Gegners Roman Protasewitsch (26) schockiert den Westen.
Frankreich fordert nach der erzwungenen Zwischenlandung ein Durchflugverbot für den belarussischen Luftraum. Die ersten Fluggesellschaften haben bereits angekündigt, Belarus künftig nicht mehr zu überfliegen. Dazu gehören unter anderem die lettische Fluggesellschaft Air Baltic und die ungarische Wizz Air.
Auch die Lufthansa teilt am Montagabend mit, vorerst nicht mehr über belarussischen Luftraum zu fliegen. Das betrifft auch die Swiss. «Aufgrund der aktuell dynamischen politischen Lage wird Swiss als Teil der Lufthansa Group den Luftraum über Belarus ab sofort umfliegen. Wir bewerten die Lage täglich neu», heisst es auf Blick-Anfrage.
EU verhängt Sanktionen
Die Air Baltic habe beschlossen, das Eintreten in den belarussischen Luftraum zu vermeiden, bis die Situation klarer wird oder die Behörden eine Entscheidung treffen, teilte eine Air-Baltic-Sprecherin in Riga laut «ntv» mit. Die lettische Behörde für zivile Luftfahrt will in Kürze eine Empfehlung abgeben.
Ähnlich klingt es bei der ungarischen Wizz Air. Ein Flug von der ukrainischen Hauptstadt Kiew nach Tallinn in Estland wurde offenbar bereits umgeleitet, so dass er nicht durch den belarussischen Luftraum musste. «Wir überwachen und bewerten kontinuierlich die Situation», sagte ein Sprecher der Agentur BNS. Die polnische Fluglinie Lot bereitet offenbar ebenfalls alternative Routen vor.
Die EU-Staaten verhängen neue Sanktionen gegen die frühere Sowjetrepublik Belarus. Wie ein Sprecher von EU-Ratspräsident Charles Michel am Montagabend nach Beratungen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel mitteilte, sollen belarussische Fluggesellschaften künftig nicht mehr den Luftraum der EU nutzen dürfen und auch nicht mehr auf Flughäfen in der EU starten und landen dürfen. Zudem soll unter anderem die Liste mit Personen und Unternehmen erweitert werden, gegen die Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gelten.
Swiss-Sprecherin: «Beim Abfangen müssen Cockpit-Besatzungen Folge leisten»
Die belarussischen Behörden hatten die Ryanair-Maschine auf dem Weg von Athen nach Vilnius wegen einer angeblichen Bombendrohung zu einer Zwischenlandung gezwungen – in Minsk, obwohl Vilnius viel näher gelegen wäre. Ein belarussischer Kampfjet vom Typ MiG-29 leiteten das Flugzeug angeblich «aus Sicherheitsgründen» in die belarussische Hauptstadt.
Hätte sich auch ein Swiss-Pilot zur Zwischenlandung zwingen lassen? Die Antwort lautet wie so oft in solchen Fällen: Kommt darauf an.
«Es ist grundsätzlich zwischen verschiedenen Sachverhalten zu unterscheiden», erläutert die Swiss-Sprecherin auf Blick-Anfrage. «Im Fall einer Bedrohungslage, etwa infolge einer Bombendrohung, obliege die Entscheidung über eine mögliche ausserplanmässige Landung der Cockpit-Besatzung. Kommt es dadurch, oder auch aus anderen Gründen, zu einer Notlage, ist die Besatzung in der Wahl der passenden Notlandemöglichkeit generell frei.»
Werde das Flugzeug jedoch abgefangen, so folge dies klar definierten internationalen Verfahren. «Denen haben Cockpit-Besatzungen sämtlicher Fluggesellschaften Folge zu leisten», so die Swiss-Sprecherin. «Kommt es infolge dessen zu einer erzwungenen Landung, bestimmt der jeweils dafür verantwortliche Staat den Ort der Landung.»
Noch sind die genauen Umstände der erzwungenen Zwischenlandung des Ryanair-Flugs nicht geklärt. Gut möglich aber, dass der Crew nach internationalem Recht tatsächlich die Hände gebunden waren – schliesslich zwang der belarussische Kampfjet sie zur Kursänderung. Damit dürfte das Kriterium «abgefangen» erfüllt sein.
Eine Passagierin berichtet in ihrer Instagram-Story, der später verhaftete Aktivist und Journalist Roman Protasewitsch habe einen Steward noch angefleht, den belarussischen Behörden nicht Folge zu leisten. Der habe geantwortet, man habe keine Wahl – das seien eben die Vorschriften.