Behörden in der autoritär regierten Republik Belarus haben nach Berichten von Staatsmedien in Minsk ein Flugzeug auf dem Weg von Athen nach Vilnius (Litauen) zur Landung gebracht. An Bord war auch der vom belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko (66) international gesuchte Blogger Roman Protasewitsch, der nach Angaben des Menschenrechtszentrums Wesna in Minsk festgenommen wurde.
Berichten zufolge fingierten die belarussischen Flugverkehrsbehörden in Minsk eine Bombendrohung. Die Piloten der irischen Fluglinie wurden vor einer Gefahr an Bord gewarnt. Laut der weissrussische Nachrichtenagentur «Belsat» ging es um eine angebliche Bombendrohung. Stutzig macht, dass Flug FR4978 kurz vor dem Verlassen des belarussischen Luftraums «aus Sicherheitsgründen» nach Minsk umgeleitet wurde, obwohl der Zielflughafen Vilnius viel näher lag.
Oppositionelle sprachen am Sonntag von einem beispiellosen Eingriff in den internationalen Luftraum. Auch der oppositionelle Nachrichtenkanal Nexta bestätigte die Festnahme seines Mitbegründers und früheren Redakteurs, der an Bord einer Maschine der Gesellschaft Ryanair gewesen sei. Berichten zufolge soll Protasewitsch bei seiner Festnahme gesagt haben: «Sie werden mich exekutieren.»
Internationale Empörung
Auch international löste der Fall Empörung aus. EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen (62) schrieb auf Twitter: «Das unverschämte und illegale Verhalten des Regimes in Belarus wird Konsequenzen haben. Die Verantwortlichen für die Ryanair-Entführung müssen sanktioniert werden.» Der verhaftete Journalist müsse «sofort freigelassen werden.
US-Aussenminister Antony Blinken (59) sprach von einer «dreisten und schockierenden Tat des Lukaschenko-Regimes» und forderte eine internationale Untersuchung.
Litauens Präsident Gitanas Nausėda (57) forderte die sofortige Freilassung des Aktivisten Protasewitsch. «Das ist ein nie dagewesener Vorfall (...) Das Regime von Belarus steht hinter dieser abscheulichen Aktion», schrieb er im Kurznachrichtendienst Twitter. Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki (52) sagte, die «Entführung» eines Flugzeugs sei «ein beispielloser Akt von Staatsterrorismus. Das darf nicht ungestraft bleiben.»
Ryanair bestätigt Vorfall
Lukaschenko habe unter Verstoss gegen alle Gesetze ein Flugzeug «gekapert», kritisierte der Kanal. Nexta forderte Ryanair auf, den Vorfall auzuklären. Ryanair teilte am Sonntagabend auf Anfrage der deutschen Presse-Agentur mit, man habe Kenntnis von einem umgeleiteten Flieger.
Die Besatzung des Fluges sei von belarussischer Seite über eine mögliche Sicherheitsbedrohung an Bord in Kenntnis gesetzt und angewiesen worden, zum nächstgelegenen Flughafen in Minsk zu fliegen. Die Behörden hätten daraufhin genehmigt, dass das Flugzeug nach schätzungsweise fünf Stunden am Boden wieder zusammen mit Passagieren und Crew starten könne.
Bombe habe sich als Fehlalarm herausgestellt
Zur Begleitung sei auch ein Kampfjet vom Typ MiG-29 aufgestiegen, wie der Flughafen bestätigte. Flughafensprecher teilten in Staatsmedien mit, dass die Piloten an Bord der Passagiermaschine um die Landeerlaubnis gebeten hätten. Später habe sich die Information über die mutmassliche Bombe als Fehlalarm herausgestellt. Der Schichtleiter des Airports, Maxim Kijakow, sagte im Staatsfernsehen, dass die 123 Passagiere im Transitbereich auf ihren Weiterflug warteten.
EDA fordert Freilassung
Das Aussendepartement in Bern fordert von Belarus die Freilassung des oppositionellen Bloggers Roman Protasewitsch. Dieser ist bei einer erzwungenen Flugzeuglandung in der Hauptstadt Minsk festgenommenen worden.
Die Behörden von Belarus müssten sämtliche Passagiere - einschliesslich Protasewitsch - ihren Flug nach Vilnius zu Ende führen lassen. Unerlässlich sei auch eine gründliche Untersuchung, hiess es in einer Twitter-Mitteilung des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) vom Sonntagabend.
EU-Gipfel berät Sanktionen
Die Flugzeug-Umleitung wird auch am Montag Thema bei einem EU-Sondergipfel sein. EU-Ratspräsident Charles Michel (45) werde den Vorfall thematisieren, teilte sein Sprecher am Sonntagabend mit. «Konsequenzen und mögliche Sanktionen werden bei dieser Gelegenheit diskutiert.»
Michel selbst teilte mit, der «beispiellose Vorfall» werde nicht ohne Konsequenzen bleiben. Mehrere EU-Regierungschefs hatten gefordert, das Thema auf die Tagesordnung des EU-Gipfels zu setzen. (SDA/kes)