Nach Explosion in Beirut
Libanons Regierung gibt auf

Am Ende zog der Regierungschef im Libanon die Notbremse. Nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut war der Druck auf Hassan Diab und sein Kabinett so gross, dass nur noch ein Ausweg blieb: der geschlossene Rücktritt.
Publiziert: 11.08.2020 um 14:59 Uhr
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Aktualisiert: 03.09.2020 um 22:28 Uhr
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Am 4. August kam es im Hafen von Beirut zu einer riesigen Explosion.
Foto: AFP

In einer Fernsehansprache machte Diab am Montagabend die weit verbreitete Korruption in seinem Heimatland für die gewaltige Detonation mitverantwortlich. Damit reagierte der Regierungschef nach knapp einer Woche auf öffentlichen Druck und gewaltsame Proteste. Im Zentrum der Hauptstadt Beirut kam es am Abend zu neuen Zusammenstössen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten.

Korruption grösser als der Libanon

Diab sagte in seiner Ansprache, die Korruption sei grösser als der Libanon. Einigen gehe es nur darum, politische Punkte zu erzielen. Zuvor hatten mit Justizministerin Marie-Claude Nadschm und Finanzminister Ghasi Wasni zwei weitere Mitglieder seiner Regierung ihre Ämter niedergelegt. Damit blieb dem Ministerpräsidenten praktisch keine andere Wahl mehr.

Regierung trägt Schuld an Explosion

Viele Libanesen machen die Regierung für die mindestens 160 Toten und mehr als 6000 Verletzten am vergangenen Dienstag verantwortlich. Die Armee zog am Montag fünf weitere Leichen aus den Trümmern. Die Detonation soll durch grosse Mengen der hochexplosiven Chemikalie Ammoniumnitrat ausgelöst worden sein, die dort über Jahre ohne Sicherheitsvorkehrungen lagerten. Die Ermittlungen zur genauen Ursache der Katastrophe laufen jedoch noch.

Weitere Minister kündigen ihr Amt

Am Sonntag hatten bereits Informationsministerin Manal Abdel Samad und Umweltminister Damianos Kattar ihre Ämter niedergelegt. Nadschm war vergangene Woche bei einem Besuch am Ort der Katastrophe von aufgebrachten Menschen beschimpft und mit Wasser bespritzt worden. Am Wochenende schlug eine Trauer- und Protestkundgebung im Zentrum Beiruts in Gewalt und Chaos um.

Tote und Verletzte bei Protesten

Aufgebrachte Demonstranten wollten Absperrungen zum Parlament durchbrechen, Sicherheitskräfte setzen Tränengas ein. Stundenlang kam es zu Zusammenstössen. Ein Polizist wurde nach offiziellen Angaben getötet, mehr als 200 Menschen erlitten Verletzungen.

Volk leidet unter Regierung

In dem Land am Mittelmeer hatte Diab erst im Januar, nach einer monatelangen Hängepartie, das Amt des Regierungschefs übernommen. Er folgte auf Saad Hariri, der nach Massenprotesten Ende Oktober zurückgetreten war. Seine Regierung wurde unter anderem von der Iran-treuen Hisbollah unterstützt, die im Libanon extrem mächtig ist. Wegen einer schweren Wirtschaftskrise und der Corona-Pandemie sind in seiner Amtszeit grosse Teile der libanesischen Bevölkerung in die Armut abgerutscht.

Neuwahl sollte Lage beruhigen

Der Premierminister hatte am Wochenende zunächst angekündigt, dem Kabinett an diesem Montag eine vorgezogene Neuwahl vorzuschlagen. Damit wollte er die Lage beruhigen. Die nächste Abstimmung über das Parlament stünde im Libanon eigentlich erst 2022 an. Damit konnte er sich letztlich aber nicht mehr durchsetzen.

Die führenden politischen Blöcke im Parlament müssen sich jetzt auf einen Nachfolger einigen. Es ist unklar, wie lange das dauern wird. Eine zentrale Rolle spielt die Iran-treue schiitische Hisbollah, die zu den einflussreichsten politischen Kräften des Landes gehört. Gegen die Hisbollah kann kaum eine Regierung gebildet werden. Beobachter gehen jedoch davon aus, dass auch eine vorgezogene Neuwahl des Parlaments die Lage nicht beruhigen kann. Die Demonstranten verlangen weitgehende politische Reformen.

Veraltetes Führungssystem

Die Macht in dem kleinen Land am Mittelmeer ist nach einem Proporzsystem aus dem Jahr 1943 unter den Konfessionen aufgeteilt. Der Präsident muss immer Christ sein, der Regierungschef Sunnit und der Parlamentspräsident Schiit. Zugleich hat die politische Elite, die zum grossen Teil aus wenigen alteingesessenen reichen Familien besteht, die eigentliche Macht fest in der Hand.

Üblich ist, dass wichtige politische Positionen vom Vater auf den Sohn übergehen. Auch sonst gehören Familienbande zu den Konstanten. So ist einer der einflussreichsten und meistgehassten Politiker, Ex-Aussenminister Dschibran Basil, Schwiegersohn von Präsident Aoun. Gleichzeitig, beklagen Kritiker, hat die Elite das Land nicht nur ausgebeutet, sondern auch vernachlässigt. Strassen, Internet, Stromversorgung sind schlecht ausgebaut. Mehrmals am Tag fällt der Strom aus, vor allem im heissen Sommer.

Durch enge Verflechtungen zwischen Politik und Banken und eine Art Kredit-Schneeballsystem ist der Libanon dennoch zu einem der am stärksten verschuldeten Länder der Welt geworden, dem Staatsbankrott nahe. In der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise, verschärft durch die Corona-Pandemie, sind grosse Teile der Bevölkerung in die Armut abgerutscht. Wegen einer explodierenden Inflation wissen viele nicht mehr, wie sie über die Runden kommen sollen.

Internationale Unterstützung

Entsprechende Forderungen sind auch aus dem Ausland zu hören. So will der Internationale Währungsfonds (IWF) dem Libanon mit einem Rettungspaket helfen, verlangt dafür aber eine politische Einigung auf umfassende Reformen. UN-Generalsekretär António Guterres mahnte ebenfalls politische Veränderungen an. Zugleich sagte er langfristige Unterstützung zu. «Das System der Vereinten Nationen wird dem Libanon in dieser Notlage weiterhin auf jede mögliche Art und Weise helfen.»

Bundesaussenminister Heiko Maas (SPD) kündigte im Deutschlandfunk an, an diesem Mittwoch in den Libanon zu reisen. Neben Soforthilfen, die bei einer Geberkonferenz am Sonntag gesammelt wurden, brauche das Krisenland längerfristige Unterstützung. Diese könne es aber nur geben, wenn lange angekündigte Reformen nun auch eingeleitet würden. Deutschland und Europa seien bereit zu helfen.

Reform muss her

Maas fügte hinzu: «Wir werden aber auch sagen, dass wir der Auffassung sind, dass dieses Land reformiert werden muss, dass die Korruption beendet werden muss und dass alle weiteren Mittel, die es gibt, etwa aus Europa, sicherlich auch daran geknüpft werden.» Neuwahlen seien nun «das Mindeste», was die Bevölkerung erwarten könne. (SDA)

Beirut

In der libanesischen Hauptstadt ist es am Dienstag zu einer gewaltigen Explosion gekommen. Die Druckwelle richtete massive Zerstörungen an. Alle aktuellen Informationen und Zahlen gibt es im News-Ticker.

In der libanesischen Hauptstadt ist es am Dienstag zu einer gewaltigen Explosion gekommen. Die Druckwelle richtete massive Zerstörungen an. Alle aktuellen Informationen und Zahlen gibt es im News-Ticker.

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