Auf einen Blick
- Tausende protestierten in Tiflis gegen eine Verzögerung des EU-Beitritts
- Die Polizei setzte Tränengas ein
- Die Moskau-freundliche Partei gewann die Wahlen vom Oktober deutlich
- Die Opposition beschuldigt die Regierung der Wahlfälschung
- Das Europaparlament fordert eine Neuwahl
In Georgiens Hauptstadt Tiflis sind Tausende Menschen gegen eine von Regierungschef Irakli Kobachidse (46) angekündigte Verzögerung des geplanten EU-Beitritts des Landes auf die Strasse gegangen. Wie Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichten, gingen Sondereinsatzkräfte der Polizei in der Nacht zum Freitag mit Tränengas und Wasserwerfern gegen Demonstrierende vor. Wenige Stunden zuvor war Kobachidse vom Parlament erneut im Amt bestätigt worden.
In Georgien hat es seit der Parlamentswahl vom 26. Oktober zahlreiche Proteste von Gegnerinnen und Gegnern der Regierungspartei Georgischer Traum gegeben. Die Moskau-freundliche Partei hatte lauf offiziellem Wahlergebnis eine deutliche Mehrheit errungen. Die Opposition wirft ihr jedoch Wahlbetrug vor und boykottiert das neue Parlament. Zudem beschuldigt sie die Regierung, Georgien von der EU zu entfernen und die ehemalige Sowjetrepublik wieder an Russland annähern zu wollen.
Berichte über Verhaftungen und Verletzte
Nach seiner Bestätigung kündigte Kobachidse an, den angestrebten EU-Beitritt Georgiens bis 2028 zurückzustellen. Bis dahin werde sein Land auch keine Haushaltszuschüsse der EU annehmen. Daraufhin versammelten sich die Protestierenden am Donnerstagabend unter anderem vor dem Parlamentsgebäude in Tiflis und blockierten die wichtigste Strasse der Stadt. Viele von ihnen schwenkten Flaggen der EU und Georgiens. Einige setzten Barrikaden in Brand.
Kurz nach Mitternacht begann die Polizei unter Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern gegen Demonstrierende vorzugehen. Berichten zufolge gab es mehrere Verletzte und auch Festnahmen. Die Polizei sei auch gegen Journalisten gewaltsam vorgegangen.
Regierung verteidigt Vorgehen
Dem Innenministerium zufolge ging die Polizei im Einklang mit dem Gesetz vor, um die Situation zu deeskalieren. Demonstrierende hätten Polizisten angegriffen, drei Beamte seien verletzt worden.
Auch in weiteren Städten fanden Demonstrationen gegen die Regierung statt. In der westlichen Stadt Kutaissi nahm die Polizei mehrere Protestierende fest, wie der unabhängige Fernsehsender Pirweli berichtet.
«Krisensitzung» mit ausländischen Diplomaten
Die pro-europäische Präsidentin Salome Surabischwili (72) erklärt in Onlinemedien, sie unterstütze «die georgischen Medien, die unverhältnismässig bei der Ausübung ihrer Arbeit angegriffen werden». Nach Kobachidses Erklärung im Parlament hatte sie eine «Krisensitzung» mit ausländischen Diplomaten einberufen. «Heute hat die illegitime Regierung ihrem eigenen Volk den Krieg erklärt», sagte sie auf einer Pressekonferenz mit Oppositionspolitikern.
Surabischwili bezeichnet das neue Parlament wegen der Betrugsvorwürfe als verfassungswidrig. Sie hat das Wahlergebnis vor dem Verfassungsgericht angefochten. Einigen Rechtsexperten zufolge sind die Beschlüsse des neuen Parlaments ungültig, solange das Gericht nicht über Surabischwilis Antrag entschieden hat.
Gesetz gegen ausländische Einflussnahme
Das Ziel des EU-Beitritts ist in der georgischen Verfassung verankert und wird laut Umfragen von einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Georgien hat – wie die Ukraine und die Republik Moldau – offiziell den Status eines EU-Beitrittskandidaten. In den vergangenen Monaten hat die Moskau-freundliche Regierung aber mehrere Gesetze verabschiedet, die in Brüssel Besorgnis hervorriefen. Darunter ist ein Gesetz gegen ausländische Einflussnahme nach russischem Vorbild und ein weiteres, das aus EU-Sicht sexuelle Minderheiten diskriminiert.
Die EU fror deshalb Ende Juni den Beitrittsprozess mit Georgien ein. Am Donnerstag verabschiedete das Europaparlament eine Resolution, die das Wahlergebnis in Georgien wegen «erheblicher Unregelmässigkeiten» ablehnt und eine Neuwahl fordert.
Vorwurf der Erpressung
Kobachidse wirft dem Europaparlament und «bestimmten europäischen Politikern» vor diesem Hintergrund «Erpressung» vor und verlangt von der EU, die «nationalen Interessen und traditionellen Werte» Georgiens zu respektieren. Zudem beschuldigt er europäische Länder und die USA, Georgien in den Krieg zwischen Russland und der Ukraine hineinziehen zu wollen.
Kobachidse betonte am Donnerstag, seine Regierung werde die für die EU-Mitgliedschaft Georgiens benötigten Reformen weiter umsetzen. «2028 wird Georgien mehr als jedes andere Kandidatenland darauf vorbereitet sein, Beitrittsgespräche mit Brüssel zu führen», sagte er. 2030 wolle Georgien dann EU-Mitglied werden.
Am 14. Dezember finden in Georgien Präsidentschaftswahlen statt. Aussichtsreichster Kandidat: Ex-FCZ-Kicker Michail Kawelaschwili (53), der von der Regierungspartei Georgischer Traum einstimmig nominiert wurde.