Latife Arab wurde in den grössten Clan Deutschlands hineingeboren – in eine Welt mit viel Gewalt und eigenen Gesetzen. Nun hat sie ein Buch geschrieben: «Als Frau im arabischen Clan». Ein Auszug hat sie auf «Focus» veröffentlicht.
«Mit dem deutschen Rechtsstaat wollte keiner etwas zu tun haben», startet Latife ihre Geschichte. Denn: Die meisten Dinge bekäme die Justiz gar nicht mit. Stattdessen würden die Dinge untereinander geklärt.
Hierbei hätten so gut wie immer die Männer das Sagen. Zusammen mit einem Richter, jemanden aus der Gemeinde mit hohem Ansehen, wird die Verhandlung geführt. Dabei gestehe der Täter seine Taten – als Zeichen des Respekts.
Die Gegenpartei gebe daraufhin ihre Forderungen bekannt. «Ob es sich um Geld, Gegenstände oder Menschenleben handelt, alles ist erlaubt und nichts unmöglich», schreibt Arab.
«Jede Kleinigkeit und jeder blöde Spruch waren Anlass für Gewalt»
Frauen hätten in dieser Welt keinen grossen Wert. Arab erzählt von einem Fall, bei dem im Dorf von ihren Eltern ein kleines Mädchen eines entfernten Onkels von einem Traktor überfahren worden war. Als Genugtuung bekam die Familie von ihrer Familie ein Stück Land. Danach wurde die Geschichte ad acta gelegt.
Ärger gibt es oft – nicht selten in der eigenen Familie. In vielen Fällen lautet die Lösung: Gewalt! «Jede Kleinigkeit und jeder blöde Spruch waren Anlass für Gewalt», beschreibt sie die Dynamik in ihrer Familie. Ihre Brüder führten auch untereinander einen ständigen Konkurrenzkampf.
Besonders betont sie dabei ihren Bruder Yunus, ein brutaler Schläger. Wegen eines Streites mit den Eltern soll er einen Mann, der zufällig auf der Strasse in der Nähe war, ins Spital geprügelt haben.
«Wer im Knast sass, hatte versagt»
Weil er zu der Zeit schon Vorstrafen hatte, kam er in eine Jugendstrafanstalt. «Nach knapp achtzehn Monaten kam er wegen guter Führung auf Bewährung frei.»
Seine Familie schickte ihm genügend Geld, sodass er sich in der Jugendstrafanstalt Untergebene kaufen konnte. Auch ein Handy wurde ihm in den Knast geschmuggelt. Besuch bekam er meist nur von Latife Arab und ihren Kindern.
«Das war so ein Ding in der Familie: Wer im Knast sass, hatte versagt und wurde für diese Zeit einfach aussortiert.» Sobald er wieder auf freiem Fuss war, kehrte er in die Familie an seinen angestammten Platz zurück. Heute sei es anders. Die Familie stehe hinter einem Mitglied, das ins Gefängnis muss.
«Die dummen Deutschen»
Auch die Rolle der Frauen spricht Latife Arab an. Zwar seien sie selten direkt an den jeweiligen Straftaten beteiligt, aber auch sie hätten ihre Aufgaben. «Wir versteckten die Beute, gaben Alibis, machten Falschaussagen, bekamen jede Menge Kinder und hielten uns an die Regeln, die unsere Männer machten.»
Die «dummen Deutschen» waren kein Hindernis für die Clans. Bei Hausdurchsuchungen hatten sie eine Routine, wer sprach und wer schwieg. Auch die Sozialleistungen kamen immer pünktlich. Wenn mit Kürzungen gedroht wurde, schalteten die Familie einen Anwalt ein. (mgf)