Bis zu diesem Jahr gehörten Deutschland und andere europäische Länder mit zu den grössten Abnehmern von russischem Öl. Nach Russlands Überfall auf die Ukraine änderte sich das – die EU-Mitgliedsstaaten kündigten ein Embargo auf russisches Tankeröl an, das am Montag in Kraft treten soll. Dazu soll ein Preisdeckel für russisches Öl durchgesetzt und Russland dazu gezwungen werden, den Rohstoff für höchstens 60 US-Dollar (etwa 56 Schweizer Franken) pro Barrel (159 Liter) zu verkaufen.
«Wir werden diesen Preisdeckel nicht akzeptieren», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow (55) nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen am Samstag. Er fügte hinzu, dass Moskau sich im Vorfeld auf eine solche Obergrenze vorbereitet habe, machte dazu aber keine weiteren Angaben.
Wie «Financial Times» nun berichtet, könnte eine sogenannte «Schattenflotte» aus alten Öltankern eine Schlüsselrolle bei diesen Vorbereitungen gespielt haben. Demnach hat Russland still und heimlich über 100 ausländische Tanker akkumuliert, um das russische Öl in andere Länder exportieren zu können. Diese Angaben kommen vom britischen Schifffahrtsmakler Braemar.
«Schattenflotte» ist kein Allheilmittel gegen Embargo
Das norwegische Energieberatungsunternehmen Rystad schätzt, dass Russland im Jahr 2022 durch Ankäufe und die Umwidmung von 12 bis 15 Jahre alten Schiffen, die den Iran und Venezuela bedienen, zwei Länder, die unter einem westlichen Ölembargo stehen, 103 Tanker hinzugewonnen hat. Nach Ansicht der Händler wird die Schattenflotte die Auswirkungen dieser Massnahmen zwar abmildern, aber nicht gänzlich beseitigen können – denn um die aktuellen Exporte aufrechtzuerhalten bräuchte Russland mehr als 240 Tanker.
«Die Anzahl der Schiffe, die Russland benötigt, um sein gesamtes Öl zu transportieren, ist einfach atemberaubend», sagte Craig Kennedy, ein Experte für russisches Öl am Davis Center in Harvard, der die Entwicklung der russischen Schiffe verfolgt. «Wir haben in den letzten Monaten eine ganze Reihe von Verkäufen an ungenannte Käufer gesehen, und ein paar Wochen nach dem Verkauf tauchen viele dieser Tanker in Russland auf, um ihre erste Ladung Rohöl aufzunehmen.»
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Die EU erklärte, dass jeder Tanker, der nicht unter EU-Flagge fährt und gegen die Preisobergrenze verstösst, mit einem 90-tägigen Verbot des westlichen Seeverkehrs belegt wird und nicht wie ursprünglich vorgeschlagen mit einem lebenslangen Verbot. Dieser Schritt wurde sowohl von Griechenland, als auch von den USA gefordert, die sicherstellen wollen, dass die Massnahmen die Weltwirtschaft nicht übermässig belasten.
Theoretisch könnte dies dazu führen, dass einige Betreiber beschliessen, ein vorübergehendes Verbot zu akzeptieren, wenn die angebotenen Frachtraten für den Transport von russischem Öl ausserhalb der Obergrenze hoch genug sind. Russland hat jedoch seit langem erklärt, dass es mit keinem Land, das die Obergrenze einhält, Geschäfte machen wird, was bedeutet, dass es sich weigern kann, Öl unter den vom Westen festgelegten Bedingungen zu liefern. Stattdessen will das Land seine neue Flotte nutzen, um Länder wie Indien, China und die Türkei zu beliefern, die zu grösseren Abnehmern seines Öls geworden sind, da Europa seine Importe zurückgefahren hat.
«Schade, dass so viel Zeit verloren geht»
Trotz der einschneidenden Auswirkungen, die das Ölembargo auf den russischen Export haben wird, ist sich der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (44) sicher: Das reicht noch nicht. Mit der vereinbarten Obergrenze von 60 US-Dollar pro Barrel (je 159 Liter) fliesse weiterhin zu viel Geld in Russlands Haushalt und damit in den Krieg gegen sein Land, sagte Selenski in seiner täglichen Videoansprache am Samstagabend.
Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis die Welt zu noch härteren Sanktionsinstrumenten gegen Moskau greifen müsse, meinte Selenski zudem mit Blick auf den Preisdeckel für russisches Öl. «Schade, dass diese Zeit nun verloren geht.» Zuvor hatte bereits der Chef des ukrainischen Präsidentenbüros, Andrij Jermak (51), einen Preisdeckel von 30 Dollar pro Barrel gefordert. (chs)