«Wir sammeln Informationen über die Russen»
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Cherson-Aktivist Yvan:«Wir sammeln Informationen über die Russen»

Mit Kabelbindern gefesselt und zur Schau ausgestellt
Das droht den ukrainischen Kollaborateuren in Cherson

Wer mit den russischen Besatzern gemeinsame Sache machte, für den wird es nach der Befreiung gefährlich in Cherson. Je nach Strafmass droht ukrainischen Kollaborateuren zwischen drei Jahren und lebenslänglich Haft. Doch nicht jeder wechselte die Seite freiwillig.
Publiziert: 14.11.2022 um 17:35 Uhr
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Aktualisiert: 14.11.2022 um 17:53 Uhr
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Die Freude über die Befreiung der südukrainischen Stadt Cherson ist gross. Viele Familien werden wiedervereint.
Foto: keystone-sda.ch
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Jenny WagnerRedaktorin News

Sie sind mit Kabelbindern an Strassenlaternen gebunden, die Köpfe unter den Kapuzenpullis gesenkt und dem Hass der Anwohner ausgesetzt – zwei Ukrainer, denen die Kollaboration mit russischen Besatzern vorgeworfen wird, werden derzeit in der befreiten Stadt Cherson zur Schau gestellt. Gedemütigt warten die vermeintlichen Kollaborateure auf ihre Strafe. Doch sie sind nicht die einzigen.

Wer von den Russen profitierte, muss sich jetzt verantworten. In seiner abendlichen Rede sprach der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (44) über die «Neutralisierung von Saboteuren». Die Behörden riefen die Bevölkerung in Cherson dazu auf, die Verräter – beziehungsweise Kollaborateure – ausfindig zu machen.

Während acht Monaten Besatzung spaltete sich die ukrainische Bevölkerung Chersons in diejenigen, die sich gegen die Aggressoren auflehnten – auch wenn sie damit ihr Leben riskierten, und diejenigen, die sich den Invasoren anschlossen. Letztere übernahmen teils hohe Regierungsposten. Dazwischen lebten Bürger, die lediglich versuchten, zu überleben.

«Jeder wird bestraft werden»

Kein Kollaborateur werde sich der Verantwortung vor dem Gesetz entziehen können, sagte Roman Golownja, Berater des Bürgermeisters der Stadt Cherson laut Ukrinform. Und: «Jeder wird bestraft werden.»

Zu Beginn des Kriegs erliess die Ukraine neue Gesetze, um die Zusammenarbeit mit dem Feind einzudämmen. Wie der «Wall Street Journal» berichtet, kann seit März der freiwillige Beitritt zum russischen Bildungssystem mit drei Jahren Haft bestraft werden. Wer eine leitende Funktion in einer russischen Verwaltung übernimmt, bekommt bis zu zehn Jahre, und wer den Russen bei der Strafverfolgung hilft, bekommt bis zu 15 Jahre. Lebenslängliche Haft erwartet die Ukrainer, die für den Tod eines anderen Ukrainers verantwortlich sind.

Was passiert bei unfreiwilliger Kollaboration?

Laut Ukrinform hat der ukrainische Geheimdienst seit Kriegsbeginn bereits über 700 Kollaborateure enttarnt. Wie der «Guardian» in der Vergangenheit berichtete, wollen Ukrainer die Verantwortlichen «schnell und streng» bestrafen. Doch gebe es verschiedene Arten der Kollaboration. «Es gibt Leute, die sich darauf gefreut haben, die Seite zu wechseln, es gibt Leute, die kollaboriert haben, weil sie ihr Leben retten wollten», sagte Ilko Boschko, ein ukrainischer Militärbeamter zu der Zeitung. «Und es gibt auch Leute, die mit vorgehaltener Waffe zur Kollaboration gezwungen wurden», fährt er fort.

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Die ukrainischen Behörden sagen, es erwarte jeden ein fairer Prozess. «Es reicht nicht aus, dass jemand zu uns kommt und mit dem Finger auf jemand anderen zeigt und sagt: ‹Das ist ein Kollaborateur›», erklärt Serhij Bolwinow, Leiter der Ermittlungsabteilung der ukrainischen Nationalpolizei in der Region Charkiw zum «Wall Street Journal».

Vereinzelt kam es schon zu Verurteilungen. In Luhansk wurde beispielsweise ein Kollaborateur zu zwölf Jahren Haft verdammt. Er hatte der Russen während der Besatzung Informationen über ukrainische Truppen gesteckt.

Viele sind bereits aus befreitem Gebiet geflohen

Viele Kollaborateure haben die Ukraine verlassen, als die Niederlage klar wurde. Denn sie wissen, dass sie nicht straffrei davonkommen. Doch nicht allen ist die Flucht gelungen. «Denjenigen, denen die Flucht nicht gelang, versuchen sich unter dem friedlichen patriotischen Volk zu verteilen», so Golownja.

Warum die beiden ukrainischen Kollaborateure an die Laternen gebunden sind, während sie auf ihren «fairen Prozess» warten, bleibt derweil unklar. Laut dem Nachrichtenportal Meduza gibt es jedoch immer wieder Mordanschläge an ukrainischen Beamten, die den Russen geholfen haben sollen. Auch ist es im Chaos des Krieges schwierig nachzuvollziehen, wer freiwillig kollaborierte und wer gezwungen wurde. Die Ukrainer sind zwiegespalten, manche befürchten laut dem «Spiegel» gar, dass ein Bürgerkrieg ausbrechen könnte.

Das ukrainische Militär glaubt laut «Daily Mail», dass sich russische Soldaten tarnen oder verstecken könnten. Ausserdem ist die komplette Stadt verwüstet, die Strom- und Wasserversorgung beeinträchtigt, einzelne Stadtteile sind vermint. Zwischen Umarmungen und Freudentränen liegt noch immer die Angst in der Luft – denn der Kampf ist noch nicht vorbei.

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