Minimalkonsens bei Ukraine und Nahost
Tiefe Gräben am G20-Gipfel

Am G20-Gipfel in Brasilien haben sich die Teilnehmer auf eine vorsichtige Erklärung zu den Weltkrisen geeinigt. Der Fokus liegt bei Entwicklungsthemen. Für Gastgeber Luiz Inácio Lula da Silva ist der Kampf gegen Hunger das «grösste Vermächtnis» des Gipfels.
Publiziert: 19.11.2024 um 05:39 Uhr
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Aktualisiert: 19.11.2024 um 08:10 Uhr
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Unterkühlte Höflichkeit: Russlands Aussenminister Sergei Lawrow und der französische Präsident Emmanuel Macron (r.).
Foto: AFP
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SDASchweizerische Depeschenagentur

Mit einem Minimalkonsens bei den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten hat die G20 führender Wirtschaftsmächte in Rio de Janeiro eine gemeinsame Gipfelerklärung gerade so zustande gebracht. Schon am ersten Tag des Gipfels wurde das 85 Punkte umfassende Dokument von der brasilianischen Präsidentschaft veröffentlicht.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wird darin wie bereits beim Gipfel in Indien im Vorjahr nicht mehr explizit von einer Mehrheit der Länder verurteilt. Beim Treffen auf Bali vor zwei Jahren war dies noch der Fall. Russland – selbst G20-Mitglied – wird in der Passage zum Ukraine-Krieg erneut nicht erwähnt. Es wird nur allgemein «auf das menschliche Leid und die negativen zusätzlichen Auswirkungen des Krieges» verwiesen, beispielsweise auf die Nahrungsmittel- und Energiesicherheit.

Hamas-Terror nicht erwähnt

Der Terrorüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ist darin nicht erwähnt. In der Erklärung zeigt sich die «Gruppe der 20» nun über die humanitäre Lage im Gazastreifen und die Eskalation im Libanon besorgt. Die humanitäre Hilfe müsse dringend ausgeweitet und der Schutz der Zivilbevölkerung verstärkt werden – eine klare Botschaft an Israel. Die G20 bekräftigen zudem das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung und ein «unerschütterliches Engagement» für eine Zweistaatenlösung.

Israels Aussenminister Gideon Saar hatte vor dem Gipfel gefordert, die G20 müssten in ihrem Communiqué Israels Recht auf Selbstverteidigung anerkennen, die Freilassung aller Geiseln verlangen und die Terrororganisationen Hamas und Hisbollah verurteilen, gegen die Israel im Gazastreifen und im Libanon Krieg führt. Eine Erklärung, die diese Punkte nicht erwähne, werde nur den Iran und seine Verbündeten ermutigen, weiter Instabilität im ganzen Nahen Osten zu säen, schrieb Saar.

Keine Einladung für Selenski

Bei den beiden Konflikten in der Ukraine und im Nahen Osten gibt es die grössten Gräben zwischen den Staaten der G20. Ihr gehören die grossen westlichen Demokratien wie die USA, Deutschland, USA und Grossbritannien an, aber auch autoritär geführte Staaten wie Russland und China. Gastgeber Brasilien, sowie Länder wie Indien oder auch Südafrika stehen zwischen beiden Lagern.

Der Gastgeber, Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, setzte die beiden Kriege gar nicht erst auf die Tagesordnung. Und er lud zur Verärgerung westlicher Staaten den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski nicht ein. Lula verfolgte eine Agenda, die vor allem die Themen des sogenannten «globalen Südens» hervorhob, also der Schwellenländer Lateinamerikas, Afrikas und Asiens.

Besteuerung von Superreichen, Klimawandel

Wichtige Punkte konnte er in dem Abschlussdokument unterbringen: den Kampf gegen Hunger und Klimaerwärmung sowie eine Reform der internationalen Organisationen. Die G20-Staaten wollen sich künftig zudem für eine wirksame Besteuerung der Superreichen einsetzen. Ohne in die Steuerhoheit der Staaten einzugreifen, werde man sich gemeinsam darum bemühen, sehr vermögende Personen effektiv zu besteuern, heisst es in der Erklärung. Damit wird ein Minimalkonsens der G20-Finanzminister aus dem Juli bekräftigt.

Ausserdem bekräftigen die G20-Staaten in Rio das international vereinbarte Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Mit Blick auf die Frage der Klimafinanzierung freue man sich ein erfolgreiches Ergebnis der Weltklimakonferenz in Baku.

Reform des Uno-Sicherheitsrates

Die G20-Staaten erklären in der Abschlusserklärung zudem, auf eine Reform des Uno-Sicherheitsrates hinarbeiten zu wollen. Die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer fordern eine bessere Vertretung der bislang unterrepräsentierten Regionen Afrika, Asien, Lateinamerika und Karibik.

In Rio wurde auch die Globale Allianz gegen Hunger und Armut ins Leben gerufen. Es fehle weder an Wissen noch an Ressourcen, sondern an politischem Willen, um den Menschen Zugang zu Nahrungsmitteln zu verschaffen, heisst es in der Abschlusserklärung. Die Gruppe setze sich für Schulspeisungsprogramme oder einen verbesserten Zugang zu Mikrofinanzierungen ein. Die Initiative ist eines der zentralen Themen der brasilianischen G20-Präsidentschaft. «Das wird unser grösstes Vermächtnis sein», sagte Lula zum Auftakt des Gipfels.

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