Eskalation: Dieses Wort hören wir täglich, wenn es um die Gewalt im Nahen Osten geht. Jetzt aber könnte die Situation tatsächlich ausser Kontrolle geraten. Drei Amerikaner kamen am Montag bei einem Angriff mit einer iranischen «Shahed»-Drohne auf einen US-Militärstützpunkt in Jordanien ums Leben. Es sind die ersten amerikanischen Todesopfer in der Gegend seit dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober. US-Präsident Joe Biden (81) muss reagieren.
Hinter dem Angriff stecken vermutlich vom Iran unterstützte Milizen, die Amerikas Truppen aus der Region vertreiben wollen. Ein Rückzug wäre eine von Bidens Optionen. Wahrscheinlicher aber ist ein anderes, auch für uns in Europa deutlich gefährlicheres Szenario.
Biden hat drei Optionen auf dem Tisch:
Option «Krallen ausfahren»: Angriff auf Iran
Noch nie in der Geschichte haben die USA den Iran auf dessen Territorium angegriffen. Eine direkte Konfrontation zwischen der Supermacht und dem Mullah-Regime wäre ein neues, extrem gefährliches Kapitel für die Welt. Und doch fordern hochrangige Republikaner genau das. Präsidentschaftskandidatin Nikki Haley (52) verlangt von Biden, «mit der vollen Kraft der amerikanischen Streitkräfte» zu antworten. Und Senator Lindsey Graham (68) trompetet: «Greif den Iran an. Jetzt. Mit voller Wucht.»
Selbst innerhalb der Partei aber löst diese Maximalforderung viel Unverständnis aus. «Fucking lunatics» («Verdammte Idioten») antwortete etwa der erzkonservative TV-Superstar Tucker Carlson auf die Forderung von Haley und Graham. Und Donald Trump (77)? Er schweigt. Unter ihm wäre es «nie so weit gekommen», verkündet der Ex-Präsident. Genauer festlegen will er sich nicht.
Klar ist: Greift Amerika den Iran an, dürfte dieser mit einer Blockade der Strasse von Hormus antworten. Durch die Meeresenge, die der Iran faktisch kontrolliert, werden rund ein Viertel des weltweiten Öl- und Gas-Volumens transportiert. Eine Blockade hätte eine globale Wirtschaftskrise zur Folge.
Option «Schwanz einziehen»: Amerika zieht sich zurück
Bernie Sanders (82), der Vordenker der amerikanischen Linken, ist nicht der einzige, der einen Abzug der US-Truppen aus dem Nahen Osten verlangt. «Wir haben da nichts mehr verloren!» Dieses Argument führen auch immer mehr rechte Amerikaner ins Feld, die sich nach den Billionen-verschlingenden jahrzehntelangen Kriegen in der Region fragen, warum die USA überhaupt noch junge Soldaten in die Todeszone schicken.
Aber: Anders, als viele der Rückzugs-Amis behaupten, spielen die USA in der Region nach wie vor eine zentrale Rolle. Das zeigt sich jetzt beim Kampf gegen die Huthi-Rebellen, die vom Jemen aus seit Wochen auf Handelsschiffe schiessen. Die Amerikaner sind die einzigen, die die Mittel und den Willen haben, diesem Terror vor Ort Einhalt zu gebieten.
Mehr zur Gewalt im Nahen Osten
Auch der angegriffene US-Stützpunkt diente der Terrorbekämpfung. Er liegt im Dreiländereck zwischen Jordanien, Syrien und dem Irak, wo sich zahlreiche Schmuggelrouten befinden, die etwa vom IS genutzt werden. Ein amerikanischer Rückzug würde die gesamte Zone in ein Zentrum für Terror-Organisationen verwandeln.
Option «Massarbeit liefern»: Biden kopiert Trumps Lehrbuch
Am wahrscheinlichsten scheint deshalb, dass Biden genau das macht, was schon sein Vorgänger machte: militärische Pinzetten-Arbeit. Trump liess im Januar 2020 den Chef der iranischen Revolutionsgarde, Kassem Soleimani, im irakischen Bagdad mit einer Drohne töten. Ähnliche Pläne könnte Biden gegen Soleimanis Nachfolger Ismail Qaani (66) verfolgen.
Alternativ dürfte Biden gezielte Schläge gegen grosse iranische Kriegsschiffe in Betracht ziehen, die derzeit in den Golf-Gewässern stationiert sind. Bereits 1988 zerstörten die US-Streitkräfte in der Operation «Praying Mantis» («Gottesanbeterin») iranische Kriegsschiffe als Reaktion auf die Verminung des Golfs. Genau wie damals dürfte der Welthandel in der Gegend erneut zum Erliegen kommen. Lange Wartezeiten auf Zalando-Päckchen und dringend benötigte Ersatzteile gehörten dann zu den kleineren Sorgen, mit denen wir uns rumzuschlagen hätten.
Eine Neuauflage der «Gottesanbeterin» würde die Gottesanbeter in Teheran empfindlich treffen. Die «drohende Eskalation» aber würde so schnell nicht aus den Nachrichten verschwinden.