WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus (56) hat unlängst die reiche Welt in die Pflicht genommen. Booster-Impfungen für Gesunde gehörten sofort eingestellt, weil ärmere Länder noch immer auf erste Impfdosen warten. Boostern, empörte sich Tedros, sei «ein Skandal, der jetzt aufhören muss».
Der WHO-Chef dachte vorab an Afrika, das der restlichen Welt bezüglich Impfungen weit hinterherhinkt. Doch offenbar stellen sich die Befürchtungen der WHO und internationaler Epidemiologen nicht ein, nach denen das Coronavirus auf dem afrikanischen Kontinent unkontrolliert wüten würde.
Sonderfall Afrika
Ein Blick auf die Landkarte zeigt zwar, dass weite Teile Afrikas noch immer auf Erstdosen warten. Doch Neuinfektionen und Todesfälle liegen im globalen Vergleich tief. Werden Corona-Impfstoffe in Afrika gar nicht so dringend benötigt?
Ein weiterer Blick auf eine Hotspot-Landkarte der Johns-Hopkins-Univeristät zeigt klar, wo sich das Pandemie-Geschehen derzeit konzentriert. Afrika weist lediglich kleine rote Punkte auf.
Mancher wird einwenden, diese Zahlen seien irreführend. In Afrika werde weniger getestet und die Ressourcen auf dem Kontinent seien beschränkt, das Virus zu erkennen. Afrikas Testinfrastuktur ist in der Tat nicht so gut ausgebaut wie in der westlichen Welt, dadurch werden auch zahlreiche Symptomlose nicht entdeckt.
Faktor Alter
Als einer der Gründe für Afrikas erhöhte Resistenz gegenüber dem Virus wird das niedrigere Durchschnittsalter auf dem Kontinent angeführt. Covid-Todesfälle betreffen – jedoch nicht ausnahmslos – vorab ältere Personen. Dabei liegt das Durchschnittsalter in Nord- und Südamerika, Europa und Asien zwischen 32 und 42,5 Jahren. Die demografische Altersstruktur in Afrika südlich der Sahara ist viel jünger – das Durchschnittsalter liegt bei 18 Jahren.
Vorerkrankungen und Immunschutz
Zumal Vorerkrankungen das Risikoprofil von Covid-Patienten erhöhen, verfügt Afrika auch diesbezüglich über bessere Karten. Chronische Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes und starkes Übergewicht, die nachweislich das Corona-Sterberisiko erhöhen, sind in Afrika weniger verbreitet.
«Der weltweite Ausbruch von Sars-CoV-2 hat deutlich gezeigt, dass nichtübertragbare Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fettleibigkeit und Typ-2-Diabetes bekannte Risikofaktoren für schweres Covid-19 und Tod sind», schreibt John Nkengasong, Chef der Afrikanischen Gesundheitsbehörde (Africa CDC), im Wissenschaftsmagazin «Nature».
Der Virologe hebt hervor, dass in Afrika Infektionskrankheiten wie HIV, Tuberkulose, Malaria sowie weitere Erreger weit verbreitet seien und möglicherweise die «Immunfunktion und -aktivierung bekanntermassen beeinflussen» würden. «Dies kann wiederum die Immunantwort auf Covid-19 beeinflussen», so Nkengasong. Über diesen Vorgang gebe es derzeit jedoch nur wenige Informationen.
Pflegeeinrichtungen
Weitere Gründe für Afrikas relative Covid-Unversehrtheit: Auf dem Kontinent waren rasch Massnahmen wie Maskentragen und Grenzschliessungen beschlossen worden. Zudem gibt es in weiten Teilen Afrikas kaum Pflege- oder Altersheime.
Die meisten älteren Menschen in Afrika südlich der Sahara werden von ihrer Familie betreut. Insbesondere während der ersten Welle der Pandemie waren die meisten Covid-Todesopfer im Westen in Alters- und Pflegeheimen zu beklagen.
Nicht zuletzt verringern auch der geringere Urbanisierungsgrad Afrikas und die Tatsache, dass sich viele Bereiche des Alltags im Freien abspielen, die Gefahr von Cluster-Bildungen. Ausgerechnet Südafrika ist als die drittgrösste Volkswirtschaft des Kontinents am heftigsten von der Pandemie getroffen. Auch das Durchschnittsalter in Südafrika liegt höher als im Rest des Kontinents.