«Medwedew eine Witzfigur, Kirijenko ohne Charisma»
Acht Scharfmacher wollen in Putins Fussstapfen treten

Sollte Wladimir Putin einmal sterben, wird es schwer, einen Nachfolger zu finden. Zu diesem Schluss kommt eine russische Zeitung, die mögliche Kandidaten prüft. Sie stellt fest, dass der aussichtsreichste Kandidat zu alt ist. Und der Ex-Präsident eine Witzfigur.
Publiziert: 02.07.2022 um 13:26 Uhr
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Aktualisiert: 02.07.2022 um 14:54 Uhr
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Wladimir Putin sitzt so fest im Sattel, wie kaum ein Politiker. An Abschied denkt er nicht.
Foto: keystone-sda.ch

In Russland gibt es Wladimir Putin (69). Und dahinter niemanden. Der russische Alleinherrscher dominiert das Land nach Belieben. Aber was, wenn er mal nicht mehr ist? Welcher seiner Gefolgsleute könnte ihn beerben? Verschiedene Verbündete nutzen den Krieg, um auf sich aufmerksam zu machen.

Die «Nowaja Gaseta» ist die letzte unabhängige Zeitung Russlands. Sie hat die ihrer Meinung nach acht aussichtsreichsten Kandidaten durch Politikwissenschaftler bewerten lassen, der «Corriere della Sera» hat die Ergebnisse zusammengefasst. Es sind alles Männer. Einige Verbündete haben es mit ihren Worten geschafft, in der Gunst Putins zu steigen – andere sind eher erfolglos.

Ramsan Kadyrow (45) – Vom Aussenseiter zum Gesprächspartner

Der Tschetschenen-Anführer macht seit Beginn des Kriegs Propaganda für Putin. Er setzt seine Männer in der Ukraine ein und droht den Gegnern fast täglich auf seinen Social-Media-Kanälen. Kürzlich etwa sagte er, dass bald Polen überfallen werden könnte. Auch wenn fast keine seiner Aussagen eintreffen, hat er unterdessen über 2,5 Millionen Follower allein auf dem Social-Media-Kanal Instagram. Laut den Analysten der «Nowaja Gaseta» hat Kadyrow seine Chance genutzt, im Krieg seine Position zu verbessern. Sei er vorher lediglich ein von Putin geduldeter regionaler Führer einer autonomen Republik gewesen, sei er mittlerweile zu einem Gesprächspartner des Präsidenten geworden.

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Dmitri Medwedew (56) – Der Ex-Präsident ist ein Medienclown

Den anderen Weg hat für die Politikwissenschaftler Dmitri Medwedew eingeschlagen. Der Gefolgsmann Wladimir Putins war von 2008 bis 2012 Präsident Russlands, anschliessend bis 2020 Ministerpräsident der Russischen Föderation. Er ist heute genauso lautstark wie Kadyrow und sorgt immer wieder für Aufsehen, etwa indem er das Fortbestehen der Ukraine als souveräner Staat infrage stellt. Bei Putin punkte er laut der «Nowaja Gaseta» aber trotzdem nicht. Medwedew habe den Zenit überschritten und keine Zukunft in der Politik. Er sei zu einer Art Medienclown verkommen.

Andrei Turtschak (46) – will den Platz an der Sonne

Der Generalsekretär der Putin-Partei «Einiges Russland», Andrej Turtschak (46), meldet sich ebenfalls häufig zu Wort. Und stützt dabei fleissig den Kurs seines Chefs. Er habe «nicht die geringsten Zweifel», dass sich die ukrainischen Gebiete Luhansk und Donezk Russland anschliessen würden, sagte er vor wenigen Wochen. Die Politikwissenschaftler in der «Nowaja Gaseta» gehen davon aus, dass der Krieg für Turtschak eine einmalige Gelegenheit ist, in der Hierarchie aufzusteigen, «und endlich einen Platz an der Sonne zu bekommen, der sich von dem eines persönlichen Parteiführers ohne echte Struktur unterscheidet.»

Wjatscheslaw Wolodin (58) – Kaputtes Sprachrohr

Wolodin ist Vorsitzender der Staatsduma, dem Unterhaus des russischen Parlaments. War er zuerst ein gemässigter Politiker, wurde er die vergangenen Jahre immer konservativer. 2018 unterstützte er etwa Anti-LGBT-Gesetze. Nun macht er mit weiteren radikalen Vorschlägen auf sich aufmerksam, forderte, diejenigen aus dem öffentlichen Dienst zu entlassen, die Einwände gegen «die militärische Sonderoperation» erheben, wie Putin den Krieg gegen die Ukraine nennt. Die ukrainischen Soldaten bezeichnet er als «Nazi-Krieger». Das Urteil der Politikwissenschaftler ist vernichtend: «Wolodin ist sichtbarer, aber nicht einflussreicher. In Russland zählt er wenig. Auch für ihn ist das Beste vorbei.»

Sergej Kirijenko (59) – Putins möglicher Nachfolger ohne Charisma

Bis 2016 war Wolodin stellvertretenden Leiter der Präsidialverwaltung. Dann wurde er von Sergej Kirijenko abgelöst. Letzterer hatte schon früh auf sich aufmerksam gemacht, mit 35 Jahren war Kirijenko bereits für einige Monate Ministerpräsident Russlands. Heute leitet er die Besetzung des Donbass und ist wie Putin davon überzeugt, nicht gegen die Ukraine, sondern den vereinten Westen zu kämpfen. Er gilt als prädestinierter Nachfolger Putins. Laut «Nowaja Gaseta» ist das aber nicht in Stein gemeisselt. Kirijenko sei in Moskau als Technokrat verschrien, mit wenig Charisma, der nicht in der Lage sei, öffentlich zu sprechen. Einen Beweis dafür lieferte Kirijenko vor wenigen Tagen: Zum russischen Nationalfeiertag am 12. Juni versprach er, den Donbass wiederherzustellen, auch wenn das mehrere Billionen Rubel kosten würde, welche vorübergehend den Lebensstandard Russlands senken würden. Die Rede wurde aus dem Internet entfernt, weil Putin keinerlei Negativmeldungen, seien sie noch so klein, vors Volk bringen will.

Marat Chusnullin (55) – Beförderung als Sackgasse

Der stellvertretende Ministerpräsident ist mit dem Wiederaufbau und der Verwaltung der Regionen Cherson, Saporischschja und Luhansk betraut worden. Chusnullin äussert sich immer wieder zur Situation in seinen Regionen. Vor wenigen Tagen meinte er, es gebe keinen Grund, das völlig zerstörte Asow-Stahlwerk in Mariupol wieder aufzubauen, das lange als Symbol des ukrainischen Widerstands galt. Stattdessen könne man dort eine Freizeitzone einrichten. Laut den Politikwissenschaftlern der «Nowaja Gaseta» ist der neue Job aber nur auf den ersten Blick eine Beförderung für Chusnullin. In Wahrheit sei er am Zenit, da er, wie auch Kirijenko, zu viele Straftaten begangen habe, um irgendwo eine Zukunft zu haben. Er müsse darauf hoffen, dass Putin so lange wie möglich durchhalte.

Sergei Mironow (69) – Lächerlicher Parteivorsitzender

Hat laut den Politikwissenschaftlern dieselbe Rolle wie Medwedew. Nur dass er nach innen, statt aussen wirke. Als Vorsitzender von Putins Partei «Einiges Russland» eigentlich einer der wichtigsten Männer im Land, steht er laut der Zeitung nur der Vollständigkeit halber auf der Liste. Mironow kapiere nicht, dass er unzuverlässig und lächerlich wirke und hat entsprechend keine Chancen, Putin zu beerben.

Nikolai Patruschew (70) – Kronprinz, der zu alt ist

Er wird, nebst Kirijenko, am häufigsten als Nachfolger Putins genannt. Er sei aber noch mächtiger schreibt die «Nowaja Gaseta». Sie bezeichnet ihn als zweitwichtigsten Mann Russlands. Der ehemalige Geheimdienstdirektor sei der unangefochtene Vorsitzende des Sicherheitsrats und stehe damit weit über Dmitri Medwedew, der nominell über ihm stehe. «Der Konflikt mit dem Westen und die zunehmende Isolation Putins haben seine Macht exponentiell vergrössert», schreiben die Politikwissenschaftler über Patruschew. Er sei der Mann, der die an seinen Führer gerichteten Informationen filtert. Aber auch er habe ein Problem: Sein Alter. Patruschew, der Putin seit den 70er-Jahren kennt, ist ein Jahr älter als Putin und falls dieser noch länger lebt, wird er ihn kaum beerben können.

Die «Nowaja Gaseta» bilanziert: Der Thronfolger Putins ist noch nicht gefunden. Ausser, dieser bewege sich so geschickt im Schatten, dass bisher niemand von ihm Notiz genommen habe. (vof)

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