Serbien erlebt die grösste Anti-Korruptions-Demo des Landes
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Zehntausende in Belgrad:Grösste Anti-Korruptions-Demo des Landes

Massenprotest in Belgrad
Hunderttausende demonstrieren gegen serbische Regierung

Hunderttausende demonstrieren am Samstag in der serbischen Hauptstadt Belgrad gegen Korruption und die Regierung. Die Befürchtung der Behörden, es werde eine gewaltsame Eskalation oder gar einen Putsch geben, hat sich bisher nicht bewahrheitet.
Publiziert: 15.03.2025 um 16:32 Uhr
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Aktualisiert: 15.03.2025 um 19:37 Uhr
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Zehntausende haben sich am Samstag in Belgrad für Proteste versammelt.
Foto: AFP

Darum gehts

  • Zehntausende demonstrieren in Belgrad gegen Korruption und Regierung
  • Regierungsanhänger bauen Barrikaden, Zusammenstösse werden befürchtet
  • 31'000 Menschen versammelten sich bereits am Freitagabend in Belgrad
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SDASchweizerische Depeschenagentur

Riesige Menschenmassen sind ins Zentrum der serbischen Hauptstadt Belgrad zur wahrscheinlich grössten Demonstration in der Geschichte des Balkanlandes geströmt. Hunderttausende folgten dem Demonstrationsaufruf der studentischen Protestbewegung unter dem Motto «Am 15. für die 15», berichtete der Nachrichtensender N1. Drohnenaufnahmen, die mehrere serbische Medien anfertigten, zeigten langgezogene Strassenzüge der Belgrader Innenstadt voller Menschen. Beobachter bezeichneten die Kundgebung am Samstag, dem 15. März, als die grösste Demonstration in der Geschichte des Balkanlandes.

Mehr als 100'000 Menschen waren vor Ort. Das Innenministerium gab die Zahl der Teilnehmer mit 107'000 an und meldete bis zum Nachmittag keine «grösseren Vorfälle».

Die Menschen versammelten sich zu einer Grossdemonstration gegen Korruption und gegen die serbische Regierung. Teilnehmer reisten aus dem ganzen Land in die Hauptstadt; schon Stunden vor Beginn der Demonstration waren Tausende Menschen auf den Strassen. Weil gleichzeitig Anhänger der Regierung mobil machen wollten, wurden gewaltsame Zusammenstösse befürchtet.

Rund 31'000 Menschen hatten sich laut Innenministerium bereits am Freitagabend in Belgrad versammelt, um die Ankunft der Demonstrierenden zu feiern. «Ganz Serbien hat sich aufgelehnt, das erlebt man nicht alle Tage. Ich glaube, das ist das Ende des Regimes», sagte der Teilnehmer Slobodan Horvat dazu.

«Bewegung darf nicht missbraucht werden»

Auch Unterstützer der Regierung von Präsident Aleksandar Vucic (55) waren bereits vor Ort, darunter Ultranationalisten, Mitglieder militanter Gruppen und mutmassliche Hooligans, die in der Nähe des Parlaments Barrikaden aufbauten. Dort versammelten sich die Demonstranten am Samstagnachmittag zu Beginn ihres Protestes, der bis zum Abend dauern soll. Regierungsanhänger bauten ebenfalls Zelte vor dem Präsidialamt auf.

EU und Uno hatten die Regierung in Belgrad schon im Vorfeld dazu aufgerufen, das Demonstrationsrecht zu respektieren und Gewalt zu vermeiden. Studierendenverbände riefen in Onlinemedien dazu auf, «ruhig und verantwortungsvoll» zu demonstrieren. «Das Ziel der Bewegung ist es nicht, in Institutionen einzudringen oder diejenigen anzugreifen, die anders denken als wir», hiess es. «Diese Bewegung darf nicht missbraucht werden.»

Studenten wollen Gerechtigkeit

Die von Studierenden angeführten Proteste hatten nach dem Einsturz eines Bahnhofsvordachs in der Stadt Novi Sad am 1. November begonnen, bei dem 15 Menschen ums Leben gekommen waren. Das Unglück befeuerte die Wut über die Korruption in Serbien, die Proteste richten sich inzwischen zunehmend gegen Vucics Regierung. Über Monate kam es seither im ganzen Land zu grossen Protesten.

Zentrum der Kundgebung war am späten Nachmittag der Slavija-Platz, auf dem die Organisatoren eine Bühne errichtet hatten. «Seht, wo wir sind. Seht, wie viele wir sind. Eure Stimme zählt. (...) Lasst uns Serbien gemeinsam erwecken. Die Nacht ist am dunkelsten vor der Morgendämmerung», rief eine Studentin als erste Rednerin in die Menge. Vor Beginn hielten Teilnehmer um 11.52 Uhr, dem Zeitpunkt des Unglücks in Novi Sad, eine 15-minütige Mahnwache für die Opfer ab. Eine unwirkliche Stille legte sich während der Schweigeandacht über die Stadt. Landwirte, Studenten und andere Zivilisten standen entlang der Demo-Strecke in Belgrad. «Wir sind gekommen, um Gerechtigkeit zu erreichen», sagte die Biologie-Studentin Milica Stojanovic.

Sechs Aktivisten festgenommen

«Wir werden alles in unsere Macht Stehende tun, um die Demonstration abzusichern», versuchte Präsident Vucic Bedenken am Freitagabend in einer Ansprache zu beruhigen. Gleichzeitig drohte er, als Präsident werde er nicht zulassen, «dass die Strasse die Regeln diktiert». Er hob hervor: «Nur um das klarzumachen, ich lasse mich nicht unter Druck setzen.» Er rief alle Seiten zum Gewaltverzicht auf und befahl der Polizei, keine übermässige Gewalt anzuwenden.

Regierungsangaben zufolge wurden bereits am Freitag sechs Aktivisten festgenommen. Sie stünden im Verdacht, «Aktionen gegen die verfassungsmässige Ordnung und die Sicherheit in Serbien» geplant zu haben.

Demonstration in Belgrad bleibt friedlich

«Was sich alle fragen ist, ob die Regierung versuchen wird, Gewaltsituationen herbeizuführen, um anschliessend einen Vorwand für die Ausrufung des Ausnahmezustands zu haben», sagte der Experte Srdjan Cvijic vom Belgrader Zentrum für Sicherheitspolitik. «Wir können seit ein paar Tagen sehen, dass das Regime versucht, die Spannungen zu eskalieren.» Die Regierung baue «ein Potemkinsches Dorf vor dem Präsidentenpalast auf, mit bezahlten Pro-Regierungs-Demonstranten.»

Vucic hatte im Vorfeld gemeint, dass die Studenten einen gewaltsamen Umsturz planten und öffentliche Gebäude stürmten. Aber das Grossereignis verlief weitestgehend friedlich. In einem südlichen Vorort von Belgrad fuhr ein Autofahrer absichtlich in eine Menge marschierender Menschen. Drei junge Leute erlitten Verletzungen, wie die Polizei mitteilte. Der Fahrer des Fahrzeugs wurde festgenommen.

Die serbische Regierung steht wegen der Protestwelle unter wachsendem Druck. Ende Januar erklärte Ministerpräsident Milos Vucevic (50) seinen Rücktritt. Präsident Vucic ruft derweil abwechselnd zum Dialog auf oder macht ausländische Einmischung für die Proteste verantwortlich – ein Vorwurf, den auch Kremlchef Wladimir Putin (72) geäussert hatte. Vor der Demonstration am Samstag warnte Vucic vor einem «endgültigen» Showdown.

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