Neue Horror-Episode aus Gaza: In der Nacht auf Donnerstag sind bei einem Zusammenstoss von hungernden Palästinensern, Hilfslastwagen und israelischen Soldaten mindestens 100 Menschen getötet worden.
Israel und die in Gaza regierende Hamas machen sich gegenseitig verantwortlich für die Katastrophe. Die Hamas spricht von einem «Massaker», Israel von einer «Massenpanik.» Der Vorfall zeigt exemplarisch, warum es so schwierig, für den Krieg in Gaza eine Lösung zu finden.
Die gesicherten Fakten:
Ein Hilfskonvoi mit insgesamt 38 Lastwagen wurde am Donnerstagmorgen kurz vor 5 Uhr entlang der Al-Rashid-Küstenstrasse in Gaza-Stadt von mehreren Hundert Palästinensern umringt. Die Nachtsichtkamera einer israelischen Drohne zeigt, wie Dutzende Menschen versuchen, auf die Lastwagen zu klettern, um an Hilfsgüter zu gelangen.
Auf dem von Israel zusammengeschnittenen Drohnenvideo ist zu sehen, wie zu einem späteren Zeitpunkt Dutzende leblose oder verletzte Körper entlang der Strasse im Sand liegen. Das al-Awda-Spital im Norden Gazas meldete kurz nach dem Vorfall, man habe 161 Verwundete behandelt, die meisten davon mit Schussverletzungen.
Das sagt die Hamas:
Die radikalislamische Organisation, die den Gaza-Streifen mit seinen knapp 2,5 Millionen Einwohnern seit 2007 regiert, spricht von einem «Massaker», das israelische Soldaten gegen die unschuldige Zivilbevölkerung verübt hätten. Die Soldaten hätten grundlos das Feuer eröffnet. 112 Menschen seien getötet, mindestens 280 zum Teil schwer verletzt worden.
Die Hamas spricht von «systematischer Tötung» unschuldiger Menschen und wirft der israelischen Armee vor, «direkt auf Zivilisten geschossen» zu haben. Sie fordert den Internationalen Strafgerichtshof dazu auf, Israel für das «abscheuliche Verbrechen» zur Rechenschaft zu ziehen.
Das sagt Israel:
Regierungssprecher Avi Hyman spricht von «überforderten palästinensischen Chauffeuren», die von einer Menschenmenge überrannt worden seien. «Sie fuhren durch die Menge und töteten dabei Dutzende Menschen.» Bei einem separaten Vorfall sei eine Gruppe Palästinenser israelischen Soldaten zu nahe gekommen, worauf diese geschossen und zehn Personen verletzt hätten.
Armee-Sprecher Daniel Hagari betont, die israelischen Streitkräfte hätten «nicht auf den Hilfstransport geschossen». Er verweist auf das Nachtsicht-Drohnenvideo, das keine Soldaten in der Nähe des Hilfskonvois zeige. Mehrere Quellen, darunter die «New York Times», verweisen allerdings darauf, dass die Drohnenaufnahmen zusammengeschnitten seien und zentrale Momente des Vorfalls nicht zeigten.
Itamaer Ben-Gvir, Israels Minister für Nationale Sicherheit, forderte mit Blick auf den Vorfall einen sofortigen Stopp aller Hilfslieferungen an Gaza. Jede Hilfe sei «Sauerstoff für die Hamas».
Die Konsequenzen:
Die Verhandlungen über eine Waffenruhe in Gaza während des muslimischen Fastenmonats Ramadan (10. März bis 8. April), die laut dem Weissen Haus auf gutem Weg waren, scheinen gescheitert. Die Hamas wirft Israel vor, es nutze den Deckmantel der Verhandlungen für schwere Verbrechen. Amerika und Israel trügen die «volle Verantwortung» für das «Massaker».
Der Vorfall hat internationale Protestrufe ausgelöst. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verurteilte Israels Vorgehen scharf. Kolumbiens Präsident Gustavo Petro sprach von einem «Genozid» und kündigte an, sämtliche Waffengeschäfte mit Israel per sofort einzustellen. Die Uno erinnerte Israel daran, dass es als Besatzungsmacht in Gaza die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit der Zivilbevölkerung trage.
Derweil dauert die humanitäre Katastrophe für die Menschen in Gaza an. Statt wie vor dem Krieg rund 500 Lastwagen mit Hilfsgütern gelangen laut dem Uno-Palästinenserhilfswerk derzeit nur noch knapp 100 Lastwagen täglich in den zerstörten Küstenstreifen. Laut palästinensischen Angaben wurden seit dem 7. Oktober 30'035 Menschen getötet und weit über 70'000 verletzt. Mehr als 7000 Personen gelten noch immer als vermisst. Die Uno befürchtet eine baldige Hungersnot, von der 500'000 Menschen betroffen sein könnten. Ein baldiges Ende des Horrors ist nicht in Sicht.