Unbekümmert hüpft eine Fitness-Lehrerin zu rhythmischen Elektropopklängen der indonesischen Musiker Tian Storm und Ever Slkr vor laufender Kamera. In für sie gewohnter Manier präsentiert sie Sportfans zu Hause die coolen Aerobic-Schritte.
Sie ist so auf ihren Tanzkurs fokussiert, dass sie gar nicht bemerkt, dass hinter ihr mehrere Militärkonvois durchfahren und es kurze Zeit später zu einem Putsch im Parlament kommt, schreibt «The Guardian».
Aufgenommen wurde das Video am Montag in Naypyidaw, der Hauptstadt von Myanmar. Nach rund eineinhalb Minuten tauchen die ersten gepanzerten Fahrzeuge im Hintergrund auf und bewegen sich in Richtung einer Absperrung, die gleich für sie geöffnet wird. Bis zum Schluss des Videos folgt noch ein weiteres gutes Dutzend.
Komplett ahnungslos tanzt die Frau namens Khing Hnin Wai weiter. Das Video verbreitet sich seither wie ein Lauffeuer im Netz.
Video ist nicht fake
Einige Internet-User fingen daraufhin an, die Echtheit der Aufnahme anzuzweifeln und warfen der Lehrerin vor, in Wirklichkeit vor einem Greenscreen getanzt zu haben.
Doch diese Theorie wurde unter anderem von unabhängigen Journalisten wie Aric Toler von Bellingcat (investigatives Recherchenetzwerk) widerlegt. Er bestätigt den Standort der Aufnahme. Demnach tanzt die Frau auf der Treppe eines Kreisels, unweit des Parlamentsgebäudes.
Auch Khing Hnin Wai selber postete später weitere ältere Videos auf ihrer Facebookseite, die vor der gleichen Kulisse im Laufe der letzten elf Monate aufgenommen wurden. Damit wollte sie beweisen, dass ihr Fitnesstanz nicht inszeniert war.
Sie sei nie in einer Organisation gewesen und habe da auch nicht performt, um berühmt zu werden, schreibt sie auf Facebook.
Militär hat 45 Regierungsmitglieder festgenommen
Nur zehn Jahre nach der Einleitung demokratischer Reformen hatte das Militär in der Nacht zum Montag zahlreiche Spitzenvertreter der zivilen Regierung festgenommen. Betroffen ist neben der Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi auch Staatspräsident Win Myint. Das UN-Menschenrechtsbüro sprach von mindestens 45 Festnahmen. Die Armee verhängte einen einjährigen Ausnahmezustand und kündigte nach Ablauf dieser Zeit eine Neuwahl an.
Gerüchte über einen bevorstehenden Putsch kursierten seit Tagen. Hintergrund sind Vorwürfe der Armee, bei der Parlamentswahl im November sei es zu Wahlbetrug gekommen. Die 75-jährige Suu Kyi und ihre Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD) hatten die Abstimmung mit absoluter Mehrheit gewonnen. Die frühere Freiheitsikone sicherte sich damit eine zweite Amtszeit als Regierungschefin – offenbar zum Unmut des mächtigen Militärs.
Lokale Wahlbeobachter hatten vergangene Woche mitgeteilt, dass sie keine grösseren Unregelmässigkeiten bei der Wahl festgestellt hätten. «Die Ergebnisse der Abstimmung waren glaubhaft und spiegelten den Willen der Mehrheit der Wähler wider», hiess es in einer Mitteilung.
Stunden nach der Machtübernahme habe die Militärjunta bereits elf neue Minister eingesetzt, berichtete die örtliche TV-Journalistin Thinzar Shunlei Yi auf Twitter. Die Lage blieb unübersichtlich, Internet und Telefonleitungen funktionierten zeitweise nicht mehr. Die neuen Machthaber verhängten eine nächtliche Ausgangssperre. Ein Augenzeuge in der gössten Stadt Yangon sagte der Deutschen Presse-Agentur, viele kritische Journalisten und Aktivisten hätten sich aus Angst vor einer Inhaftierung versteckt.
Forderungen nach Reaktionen laut
Nach einem Putsch im Jahr 1962 stand Myanmar fast ein halbes Jahrhundert lang unter einer Militärdiktatur. Suu Kyi setzte sich in den 1980er-Jahren für einen gewaltlosen Demokratisierungsprozess ein und wurde deshalb insgesamt 15 Jahre unter Hausarrest gestellt. 1991 erhielt sie für ihren Einsatz den Friedensnobelpreis. Aber erst 2011 wurden demokratische Reformen eingeleitet, in der Folgezeit kamen erstmals auch wieder Touristen in das lange Zeit isolierte «Land der Pagoden».
Nach dem Militärputsch mehren sich nun die Forderungen nach einer entschlossenen internationalen Reaktion. US-Präsident Joe Biden drohte den neuen Machthabern im früheren Birma Sanktionen an. Auch der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Menschenrechte in Myanmar, Tom Andrews, forderte strikte Massnahmen wie etwa ein Waffenembargo für das Land. Am Dienstag berät der UN-Sicherheitsrat in New York über die Lage in dem südostasiatischen Land.
Die Partei der bisherigen Regierunschefin Aung San Suu Kyi hat am Dienstag deren Freilassung gefordert. «Lasst sofort alle Festgenommenen frei», verlangte die NLD auf Facebook. Die Machtübernahme des Militärs sei «ein Schandfleck». (man/SDA)