Auf einen Blick
- SSW will bei Bundestagswahl erneut Mandate gewinnen
- Partei der dänischen und friesischen Minderheiten von Sperrklausel ausgenommen
- SSW braucht etwa 55'000 Zweitstimmen für ein Bundestagsmandat
Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) ist eine Besonderheit in der bundesdeutschen Politik. Die 1948 gegründete Partei der dänischen und friesischen Minderheiten ist seit Jahrzehnten im schleswig-holsteinischen Landtag vertreten – und seit 2021 erstmals seit langem auch wieder mit einem Abgeordneten im Bundestag. Bei der Bundestagswahl am 23. Februar will sie das wiederholen und eventuell sogar zwei Mandate erringen.
Wie schafft es der SSW ins Parlament?
Parteien nationaler Minderheiten sind aufgrund einer Sonderregelung im Bundeswahlgesetz von der Sperrklausel ausgenommen, um ihre Chancen auf bundespolitische Repräsentation zu erhöhen. Die auf sie entfallenden Zweitstimmen werden bei der Mandatsberechnung auch dann berücksichtigt, wenn deren Gesamtzahl für ein Überspringen der Fünfprozenthürde nicht reicht.
Von dieser Zweitstimmenregelung, die in vergleichbarer Weise auch bei schleswig-holsteinischen Landtagswahlen gilt, profitiert der SSW. Die insbesondere in den nördlichen Teilen des Bundeslands verwurzelte Partei erhielt vor vier Jahren genügend Zweitstimmen, um ihren Spitzenkandidaten Stefan Seidler als fraktionslosen Einzelabgeordneten in den Bundestag zu schicken. Der 45-Jährige geht auch diesmal als Spitzenkandidat ins Rennen.
Wie stehen die Chancen?
Wie bereits 2021 geht der SSW betont optimistisch in den Wahlkampf und spekuliert erneut auf ein Bundestagsmandat. Allgemein verzeichnet die Partei seit etwa 20 Jahren steigenden Wählerzuspruch. Die Partei hält es sogar für denkbar, noch einen weiteren Bundestagssitz über ihre Landesliste in Schleswig-Holstein zu holen und zusätzlich die 24-jährige Maylis Rossberg nach Berlin zu entsenden. Sie tritt auf Platz zwei der SSW-Landesliste an.
Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Für ein Bundestagsmandat braucht die Partei nach eigenen Schätzungen in etwa 55'000 Zweitstimmen, für zwei Sitze dementsprechend rund 110'000. Bei einer kürzlich veröffentlichten Umfrage zur landespolitischen Stimmung in Schleswig-Holstein kam der SSW sogar auf sechs Prozent. Rund ein Viertel der Befragten konnte sich nach SSW-Angaben demnach vorstellen, die Partei auch bei der Bundestagswahl zu wählen. In anderen Bundesländern steht die Partei nicht zur Wahl.
Wofür steht der SSW?
Der SSW versteht sich traditionell als soziale und liberale Partei, die sich an politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Skandinavien orientiert. Zu seinen Kernforderungen für die Bundestagswahl gehört eine Reform der Schuldenbremse, um grössere Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutzmassnahmen zu finanzieren. Zudem tritt die Partei für eine vom Elterneinkommen unabhängige Ausbildungsförderung nach dänischem Vorbild und einen gesetzlichen Mindestlohn von 15 Euro ein.
Einen weiteren Schwerpunkt bilden traditionell der Minderheitenschutz und der Kampf gegen Rassismus sowie Extremismus. Dazu kommen eher spezifisch regionale Interessen – etwa die Forderung nach mehr Bundesmitteln für die Sanierung der Bahninfrastruktur in Norddeutschland oder für den Küstenschutz. Politisch besteht eine gewisse Nähe zu SPD und Grünen, mit denen der SSW in Schleswig-Holstein zwischen 2012 und 2017 eine Landesregierung bildete.
Wieso gibt es den SSW überhaupt?
Weite Teile Schleswig-Holsteins gehörten jahrhundertelang zum dänischen Königreich, um die Frage der nationalen Zugehörigkeit wurden Kriege und Bürgerkriege geführt. Der heutige Verlauf der deutsch-dänischen Grenze ist das Ergebnis einer Volksabstimmung von 1920, die nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg im Versailler Vertrag vereinbart wurde. Sie ist also gerade einmal etwa hundert Jahre alt. Auf beiden Seiten der Grenze blieben danach Minderheiten zurück, die dort weiterhin lebten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete sich 1948 der SSW als Vertretung der dänischen und friesischen Minderheiten in Deutschland. Anfangs war der SSW sehr erfolgreich. Bei der ersten Bundestagswahl 1949 errang er ein Mandat. In den folgenden Jahrzehnten durchlief er dann allerdings eine Schwächephase. Erst seit der Jahrtausendwende bekam das wieder mehr Zuspruch, was mit der Rückkehr in den Bundestag 2021 seinen bisherigen Höhepunkt fand.
Gibt es noch weitere nationale Minderheiten?
Neben den Dänen und Friesen sind auch Angehörige der Sinti und Roma sowie die Sorben als nationale Minderheiten anerkannt, sofern sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Diese entschieden sich bislang aber nicht zur Gründung politischer Parteien. Wie gross die Minderheiten sind, ist übrigens nicht genau bekannt. Bevölkerungsstatistiken zur ethnischen Zugehörigkeit werden nach den Erfahrungen mit der Völkermordpolitik der Nationalsozialisten in Deutschland von den Behörden bewusst nicht erhoben.