Er ist nicht der Erste, der den Zerfall der US-Demokratie befürchtet. Aber nichts kommt in seiner Dringlichkeit an die Aussagen von Thomas Homer-Dixon ran: In einem Artikel rät der erfahrene Krisen- und Konfliktforscher seinem Heimatland Kanada, sich darauf vorzubereiten, dass eine Wiederwahl Donald Trumps das Ende der Demokratie im Nachbarland besiegeln könnte. Im Interview per Videocall erklärt der Kanadier, warum es jetzt ernst wird.
Wie kommen Sie darauf, dass die USA bis 2030 eine rechte Diktatur sein könnten?
Thomas Homer-Dixon: Die Vereinigten Staaten werden politisch zunehmend instabiler. Das kann bis Ende des Jahrzehnts oder früher zu einer Diktatur führen. Bis dahin gäbe es eine Reihe von Etappen. Der Zusammenbruch des demokratischen Prozesses könnte bereits 2025 eintreten – je nachdem, ob Donald Trump wiedergewählt wird.
Donald Trump wäre dann auch der Diktator?
Nein. Er ist als Manager zu inkompetent und hat vermutlich nicht die Fähigkeiten, die für die Konsolidierung der Macht in einem rechten Regime erforderlich sind. Aber er ist in der Lage, die Demokratie zu zerstören. Er unterstützt die demokratischen Institutionen nicht und seine Wiederwahl könnte die erste Stufe hin zu einer rechten Diktatur sein.
Noch hat Trump nicht verkündet, ob er 2024 antritt. Aber Sie wären sicher, dass er wiedergewählt wird?
Wenn er dafür fit und gesund genug bleibt, liegt die Wahrscheinlichkeit meiner Meinung nach bei mindestens 50 Prozent. Und das ist eine optimistische Schätzung. Die Wahrscheinlichkeit könnte sehr viel höher liegen. Mindestens 30 Prozent der Bevölkerung sind begeisterte, glühende Anhänger. Er muss seine Wählerschaft nur irgendwo in den hohen 40-Prozent-Bereich bringen. Der Biden-Sieg war schon eng und die Amerikaner sind aktuell unzufrieden und verärgert. Trump könnte sogar leicht und legitim gewinnen, ohne die Regeln zu verbiegen.
Wirtschaftliche Instabilität, Klimawandel, Energieknappheit, Demokratie: Der kanadische Professor Thomas Homer-Dixon (64) hat die grossen Krisen im Blick. Aktuell leitet er das Krisen-Forschungszentrum Cascade Institute an der Royal Roads University in Victoria. Er untersucht, wie Menschen, Organisationen und Gesellschaften ihre Konflikte besser lösen können. Helfen kann das Thema seines letzten Buchs: Hoffnung.
Wirtschaftliche Instabilität, Klimawandel, Energieknappheit, Demokratie: Der kanadische Professor Thomas Homer-Dixon (64) hat die grossen Krisen im Blick. Aktuell leitet er das Krisen-Forschungszentrum Cascade Institute an der Royal Roads University in Victoria. Er untersucht, wie Menschen, Organisationen und Gesellschaften ihre Konflikte besser lösen können. Helfen kann das Thema seines letzten Buchs: Hoffnung.
Trump hat 2016 gewonnen und ist vier Jahr später damit gescheitert, die Wahl zu untergraben. Wie kann Trump die US-Demokratie denn noch mehr schwächen?
Das war mal ein erster Versuch. Er hats nicht geschafft, aber nur wegen vielen Einzelnen – vor allem auch republikanischen Wahlleitern und Gouverneuren, die vorbereitet waren und dem Druck standgehalten haben. Aber er kam der Sache viel näher, als viele gedacht hätten. Er hätte es fast geschafft. Trump hat zum Beispiel wirklich alles gegeben, um Mike Pence einzuschüchtern. Darum ging es ihm am 6. Januar.
Dabei hätte Mike Pence gar nichts tun können. Er hatte als Vizepräsident ja nur die zeremonielle Rolle, die Auszählung der Stimmen zu bestätigen.
Trumps Team war der Auffassung, er könne die Bestätigung auch verweigern. Hätte er das gemacht, wären die Stimmen der Wahlleute möglicherweise gekippt worden und zurück in die Bundesstaaten gegangen.
Also hat Mike Pence die Demokratie gerettet?
Es zählt nicht nur die nationale Dimension, sondern auch die einzelnen Bundesstaaten und Bezirke. Auf regionaler Ebene gingen eine Reihe von ehrenwerten Republikanern damals enorme Risiken ein, indem sie sich schon vorher weigerten, sich dem Druck Trumps und seiner engsten Verbündeten zu beugen.
Sie glauben nicht daran, dass das ein zweites Mal klappt ...
Trump hätte bei einer zweiten Amtszeit Zeit, all diese Leute nach und nach loszuwerden und Druck auf die Bundesstaaten zu machen, seine Verbündeten in Positionen wie diejenige des «Secretary of State» zu heben, der jeweils die Wahlen verantwortet. Eine freie und faire Wahl wäre also schon bei der Wahl danach unwahrscheinlich. Oder um es kurz zu sagen: Wenn Trump wiedergewählt wird, dürfte es für einen demokratischen Kandidaten anschliessend schwierig bis unmöglich werden, als Präsident gewählt zu werden. Biden könnte der letzte demokratische Präsident jemals sein.
Noch hat er das Sagen. Stärkt Biden die Demokratie ausreichend?
Er hat das Thema vernachlässigt. Erst seit kurzem versucht er, der geplanten Wahlrechtsreform «Freedom to Vote Act» den nötigen Schub zu geben. Sie würde es der Regierung erlauben, etwa Wahlrechts-Einschränkungen in den Bundesstaaten aufzuheben. Aber Biden ist viel zu spät dran, weil in dieser Woche schon abgestimmt werden soll und die Demokraten bei den Halbzeitwahlen im November vermutlich das Repräsentantenhaus und vielleicht auch den Senat verlieren. Dann haben sie gar keine Chance mehr, irgendwas durchzubringen.
Wie schon beim Klima- und Sozialpaket blocken auch bei der Wahlrechtsreform zwei konservative Demokraten. Warum schafft es der erfahrene «Dealmaker» Biden nicht mal, seine eigene Partei hinter sich zu vereinen?
Beide Senatoren haben sehr starke wirtschaftliche Interessen, was ihre Bundesstaaten betrifft. Konservative tendieren ausserdem dazu, starke Änderungen von Regeln abzulehnen. Der Filibuster – jene Dauerrede, mit der die Opposition alles blockieren kann und die die Demokraten für ihre Wahlrechtsreform zuerst abschaffen müssten – ist eine alte Senatstradition.
Könnte die Filibuster-Abschaffung den Demokraten in Zukunft nicht auch selbst schaden – wenn nämlich die Republikaner wieder an der Macht sind?
Das ist ein legitimes Argument, aber viele Demokraten haben wirklich Angst um das Wahlrecht und sagen: Wir sind jetzt gerade an einem so kritischen Punkt in der Geschichte, dass wir alle Register ziehen müssen, um die Demokratie zu schützen, solange es sie noch gibt. In einem Jahr könnte der Kongress schon wieder republikanisch kontrolliert sein. Und 2024 könnte Trump zurückkommen.
Welcher «fähige» Diktator könnte auf Trump folgen?
Marco Rubio (Senator aus Florida; Anm. d. Red.) oder J. D. Vance (Autor und Senatskandidat) zum Beispiel. Leute, die offensichtlich keinen moralischen Kompass besitzen. Die ihre Orientierung, ihre politische Orientierung und ihre politische Rhetorik wesentlich geändert haben, um an Macht und Einfluss zu gewinnen. Diese Leute sind meiner Meinung nach besonders opportunistisch und gefährlich. Besonders wenn sie genug Charisma haben, um die Mobilisierung der Basis fortzusetzen, die Trump aufgebaut hat.
Wollen vernünftige Republikaner das nicht verhindern?
Es gibt welche und es wird aktuell auch schon geschaut, wer mal auf Trump folgen könnte. Aber es wird ein anderes politisches Umfeld sein, wenn Trump erst mal weitere vier Jahre hatte, um Gegner in den staatlichen Institutionen durch seine Verbündeten zu ersetzen.
Wie können wir uns eine US-Diktatur vorstellen – wie Nordkorea, Russland oder China?
Ich sehe fünf verschiedene Szenarien. Für am wahrscheinlichsten halte ich eine «illiberale Demokratie» wie die von Viktor Orban in Ungarn.
Die USA werden im Demokratie-Index bereits seit 2016 als unvollständige Demokratie geführt.
Aber so weit wie in Ungarn ist es noch nicht. Pressefreiheit, politische Teilhabe und Mobilisierung sind noch immer grossflächig möglich. Andere mögliche Szenarien wären etwa so etwas wie in Brasilien unter Bolsonaro oder in Russland unter Putin. Aber ich glaube, die USA werden ihr eigenes Modell finden.
Wird es dabei zum Bürgerkrieg kommen, wie einige Experten annehmen?
Das ist gut möglich, ja. Aber das ist gar nicht so wichtig. Es wäre nur eine Übergangsphase und danach müssten wir mit dem umgehen, was dabei herauskommt. Und bitte vergessen Sie nicht: Das Spektrum, wie dieser «Bürgerkrieg» aussehen könnte, ist breit.
Wie sieht ein nationaler Konflikt in den USA nach Ihrer Ansicht aus?
Ich glaube nicht, dass es offene Schlachtfelder und Kriegsfronten gibt. Erwarten würde ich eher eine Art chronischen Aufstand einer stark bewaffneten Gesellschaft: Ein Teil, der sich von der Politik ausgeschlossen fühlt, nimmt seine Waffen und verübt in einigen Gegenden Gewalt auf einem niedrigen Level.
Könnte sich dieser Konflikt nicht ausweiten?
Dafür wäre das Militär entscheidend. Sollte sich die Armee entlang der Parteilinien teilen, könnte es tatsächlich zu einem landesweiten, bösartigen Konflikt kommen.
Gibt es dafür Anzeichen?
Das Militär würde unter einer neuen Trump-Regierung sicher zunehmend politisiert. Es könnte dann diejenigen geben, die die Verfassung verteidigen wollen und keine illegalen Befehle ausführen werden – und diejenigen, die der Regierung blind folgen. Aber nach wie vor halte ich das eher für nebensächlich.
Was kann denn problematischer sein als offene Gewalt?
Diese Ideologie, die sich in relevanten Teilen der Republikanischen Partei durchsetzt: Sie glauben, dass es Feinde im Inneren gibt, die man vernichten muss – mit Gewalt und gegen jede staatliche Ordnung. Das ist die Basis für das, was in Deutschland in den 1930er-Jahren passiert ist, und mein pessimistischster Ausblick für die USA. Ich nenne es das «Weimar-Szenario».
Sie raten Ihrem Heimatland Kanada, sich darauf einzustellen. Wie genau?
Das ist die grosse Frage. Ich wollte die Diskussion darüber anstossen. Unsere Länder sind so eng verbunden, ein Ende der US-Demokratie hätte Auswirkungen auf alles: Handel, Wirtschaft, Sicherheit. Ein grosser Teil unserer Lebensmittel wird aus den USA importiert. Wir haben zum Beispiel die Nordamerikanische Luftverteidigung (Norad), die noch wichtiger werden wird, da sowohl die Chinesen als auch die Russen Hyperschallraketen einsetzen. Wir müssen über ein neues Programm zur kontinentalen Verteidigung nachdenken – aber das wird sehr schwierig, wenn uns die USA bald feindlich gesinnt sein könnten.
Müssen sich auch andere Länder vorbereiten?
Ja, sicher. Das hätte riesige Auswirkungen auf Europa. Denn eines der wichtigsten Dinge, die Kanada zum Beispiel machen müsste, ist, die Beziehungen zu Europa zu stärken und herauszufinden, was passiert, falls die Vereinigten Staaten aus der Nato austreten. Wichtig ist einfach, jetzt das Gespräch über den möglichen Zerfall der US-Demokratie auf allen Ebenen zu eröffnen.
Sollte sich auch die Schweiz darüber Gedanken machen?
Alle Demokratien sollten das. Die Demokratie steht weltweit unter Beschuss. Hardliner, starke Männer dominieren zunehmend. In fast allen Fällen sind sie Nationalisten. Wir müssen darüber nachdenken, was das in Bezug auf Politik und Verfahren bedeutet, wie wir demokratische Institutionen aggressiver schützen und wie wir uns gegen antidemokratische Rhetorik, Fake News und Verschwörungstheorien in den sozialen Netzwerken wehren.