Afghanistan-Abzug, Partei-Querelen, Mega-Inflation – die Bilanz des ersten Jahres
Joe Bidens epische Pechsträhne

Ein Jahr nach Amtsantritt strauchelt US-Präsident Joe Biden zunehmend. Kann er das Ruder wieder rumreissen?
Publiziert: 16.01.2022 um 12:10 Uhr
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Aktualisiert: 16.01.2022 um 22:37 Uhr
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Nach dem Truppenabzug aus Afghanistan ist das Land wieder in den Händen der Taliban.
Foto: Getty Images
Fabienne Kinzelmann

Aller schlechten Dinge sind drei. Das lernte Joe Biden (79) am Donnerstag. Zum dritten Mal innert dreier Monate fuhr der US-Präsident zum Capitol Hill, um seine Partei von seinen Plänen zu überzeugen. Zum dritten Mal: ohne Erfolg.

«Ich weiss ehrlich nicht, ob wir das durchbekommen», sagte Biden hinterher. Er bräuchte die Stimmen der Demokraten Joe Manchin (74) und Kyrsten Sinema (45), um den sogenannten Filibuster abzuschaffen: die Möglichkeit, durch Dauerreden eine Beschlussfassung im Parlament zu verhindern. Dann nämlich könnte Biden seine geplante Wahlrechtsreform mit einer einfachen Mehrheit im Senat verabschieden. Doch die beiden Parteikollegen blocken.

Ein schlechter Start zum Wahljahr. Bei den Halbzeitwahlen im November müssen die Demokraten fürchten, ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat zu verlieren.

Wie hat sich der US-Präsident in seinem ersten Jahr geschlagen? SonntagsBlick zeigt Bidens bisherige Bilanz – und was er jetzt tun muss.

Wirtschaft

Bisher hat Biden viel richtig gemacht: Die Wirtschaft wuchs nach den härtesten Pandemie-Monaten wieder kräftig, die Arbeitslosigkeit sinkt und im November konnte der Präsident endlich sein parteiübergreifendes Infrastruktur-Paket unterzeichnen. 1,2 Billionen US-Dollar für Strassen, Brücken und schnelles Internet. Doch die Mega-Inflation verhagelt ihm die Bilanz und drückt trotz gestiegener Löhne besonders bei Familien aufs Portemonnaie. Im letzten Dezember stiegen die Verbraucherpreise um volle sieben Prozent – das ist der höchste Zuwachs seit fast 40 Jahren.

Was Biden jetzt tun muss: Sein Klima- und Sozialpaket «Build Back Better» durch den Kongress bekommen – das könnte finanzielle Belastungen laut Experten am schnellsten senken.

Corona

Joe Biden startete mit einem umfassenden Pandemie-Plan, baute Impfproduktion und -verteilung schnell aus. Schon im April gab es den Piks für alle, ab September wurde geboostert. Doch dass man sich in den USA im Drive-in oder zwischen Zahnpasta und Kühlregal in jeder Drogerie impfen lassen kann, hilft nichts: Rund 38 Prozent sind noch nicht geimpft, erst gut 23 Prozent geboostert. Am Donnerstag stoppte auch noch der Oberste Gerichtshof Bidens geplante Impf- und Testpflicht für grössere Firmen. Und ausgerechnet zur Omikron-Welle sind Testkapazitäten rar und teuer.

Was Biden jetzt tun muss: Mehr Investitionen in Covid-19-Medikamente, Masken und Tests.

Ausland

Ob Pariser Klimavertrag oder Weltgesundheitsorganisation: Die USA spielen seit Bidens Amtsantritt international wieder mit. Auch China nahm der US-Präsident direkt in den Fokus, betonte seine Unterstützung für Taiwan. Im Juni traf er sich mit Russlands Staatspräsident Wladimir Putin (69) in Genf. Doch der Afghanistan-Abzug geriet zum Desaster. Seither ist das Ansehen der Biden-Regierung in Sachen Aussenpolitik beschädigt.

Was er jetzt tun muss: Putin vom Einmarsch in die Ukraine abhalten, diese Woche verhandelten die USA und Russland erneut in Genf.

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Klima

Unter Biden haben sich die USA wieder zum 1,5-Grad-Ziel bekannt und wichtige Richtlinien verabschiedet. Unter anderem machte Biden Schluss mit der Finanzierung von Projekten für fossile Brennstoffe in Entwicklungsländern, verhängte der Bundesregierung ein CO₂-Sparprogramm und gründete eine nationale Klima-Taskforce. Doch der grosse Wurf – das Gesetzespaket «Build Back Better» – fehlt noch.

Was Biden jetzt tun muss: Auf eine überarbeitete Version hoffen, die Parteirebell Joe Manchin mitträgt.

Waffen

Nach mehreren Amokläufen zu Beginn seiner Amtszeit sagte Biden der Waffenlobby den Kampf an. Doch wie schon unter Barack Obama steckt das Geschäft im Kongress fest. Und der US Supreme Court könnte das Recht, eine Waffe zu tragen, nun sogar ausweiten: Das Urteil zum entsprechenden Fall «NYSRPA v. Bruen» wird im Sommer dieses Jahres erwartet.

Was Biden jetzt tun muss: Den Filibuster abschaffen, damit seine Waffenreform im Senat mit einer einfachen Mehrheit verabschiedet werden kann.

Trumps Erbe

Die Wahlbetrugslüge vergiftet die USA. Eine Mehrheit republikanischer Wähler zweifelt noch immer am Wahlergebnis, in ländlichen Gebieten werden die Kapitol-Stürmer vom 6. Januar 2021 wie Helden gefeiert und republikanische Trump-Kritiker wie die Abgeordnete Liz Cheney (55) werden in ihrer eigenen Partei ausgegrenzt. In 49 US-Bundesstaaten haben die Republikaner diskriminierende Wahlgesetze in Vorbereitung oder bereits verabschiedet. Eine Gefahr für die Demokratie, warnen Experten.

Was Biden jetzt tun muss: Dafür sorgen, dass die Demokraten bei den Halbzeitwahlen ihre dünne Kongress-Mehrheit verteidigen. Und die Senatoren Kyrsten Synema und Joe Manchin von einer Abschaffung des Filibusters überzeugen.

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Partei und Regierung

Bidens Regierung startete top vorbereitet. Doch in den vergangenen Monaten verschärfte sich nicht nur sein Konflikt mit den Trump-hörigen Republikanern, sondern gleichzeitig auch mit moderaten und progressiven Demokraten. Seine wichtigsten Vorhaben stecken in innerparteilichem Streit fest. Dazu kommen Probleme mit seiner Vizepräsidentin Kamala Harris (57), die er mit Sisyphus-Aufgaben wie der Grenzkrise betraut hat und der die Mitarbeitenden reihenweise davonlaufen.

Was Biden jetzt tun muss: Seiner Vize Erfolgserlebnisse ermöglichen – oder sie ersetzen.

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