Ein möglicher Nato-Beitritt der Ukraine war einer der Gründe gewesen, mit denen Kreml-Führer Wladimir Putin (70) Russlands Einmarsch in die Ukraine rechtfertigte. Nach dem Nato-Gipfel in Vilnius (Litauen), bei dem auch Wolodimir Selenski (45) anwesend war, hat sich der russische Präsident nun erneut zu einer potenziell näher rückenden Mitgliedschaft geäussert.
«Was Ukraines Mitgliedschaft in der Nato betrifft – das haben wir schon oft gesagt – sie stellt offensichtlich eine Bedrohung für Russlands Sicherheit dar», sagte er am Donnerstag im Gespräch mit dem Kreml-Journalisten Pawel Sarubin.
Putins erklärte Forderungen vor der Invasion waren die Verhinderung der Nato-Erweiterung gewesen und das westliche Militärbündnis von Russlands Grenzen zurückzudrängen. Jetzt ist Finnland Nato-Mitglied, Schweden reicht das Beitrittsprotokoll ein – und ein Beitritt der Ukraine erscheint zumindest wahrscheinlicher als vor Kriegsbeginn. «Putin wollte weniger Nato», so Jens Stoltenberg (64), Generalsekretär des westlichen Militärbündnisses. Jetzt «bekommt er mehr Nato».
«Zusätzliche Spannungen»
Im Gespräch mit Sarubin versucht Putin jedoch, diesen möglichen Beitritt kleinzureden. Er sei sich sicher, dass der Nato-Beitritt «die Sicherheit der Ukraine selbst nicht erhöhen» werde. «Und im Allgemeinen wird es die Welt viel verwundbarer machen und zu zusätzlichen Spannungen auf der internationalen Bühne führen.»
Im Gegensatz zu seinen früheren Aussagen verwendete er am Donnerstag aber nicht das Wort «existentiell», als er von der angeblichen Bedrohung für Russland spricht.
Und Putin geht noch einen Schritt weiter: «Jedes Land hat das Recht, seine Sicherheit zu gewährleisten.» So auch die Ukraine, sagt er. Es gebe jedoch «eine Einschränkung», fügt er gleich hinzu. Es dürfe nicht auf Moskaus Kosten geschehen.
«Bei der Erreichung der Sicherheit sollten keine Bedrohungen für ein anderes Land auftreten. Wir gehen davon aus, dass dieser Grundsatz, der wiederholt in verschiedenen internationalen Dokumenten verkündet wurde, weiterhin berücksichtigt wird», sagt Putin und bringt erneut Verhandlungen ins Spiel. «Wir sind nicht dagegen, solche Fragen zu besprechen. Aber nur unter der Voraussetzung, dass die Sicherheit der Russischen Föderation gewährleistet wird.»
Beitritt nach Kriegsende?
Wann die Ukraine Nato-Mitglied werde, darauf wollen sich die Bündnispartner noch nicht festlegen. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin (69) zeigte sich in Vilnius überzeugt, Kiews Beitritt werde wohl nach Ende des russischen Angriffskriegs erfolgen.
Doch schon die bisherigen Entscheide haben eine Auswirkung, glauben westliche Experten. Die Nato-Entwicklungen stellen eine «umfassende Niederlage für Russlands Vorkriegsziele» dar, analysiert der Thinktank Institute for the Study of War.
Es bestehe «kein Zweifel», so Austin, dass die Ukraine rechtzeitig der Nato beitreten werde. (man/kes)