Der Kreml und russische Medien spielen es hoch. Präsident Wladimir Putin (70) hat am späten Samstag erstmals Staatsgebiet besucht, das die Russen nach dem Einmarsch vor einem Jahr von der Ukraine eroberten.
Putin wagte sich nach Mariupol, wo sich bei der Belagerung nach der Invasion schwere Schlachten zutrugen. Dass Putin zum ersten Mal einen Fuss in den Donbass setzte, wurde auch als Zeichen der Geringschätzung des Kreml-Chefs für den Westen gewertet. Am Freitag hatte der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag Haftbefehl gegen Putin wegen Kriegsverbrechen erlassen. Putin versuchte sich daraufhin noch extra nonchalant zu geben.
In «seinem» Mariupol zeigte sich der Kreml-Führer demonstrativ entspannt. Er setzt sich ans Steuer, der russische Vizepremier Marat Khusnullin (56) begleitet ihn als Beifahrer. Nur: Auf erst viele Stunden später publizierten, vom Kreml abgesegneten Fotos und Filmbeiträgen ist kein einziger Mensch auf den Strassen zu sehen. In Mariupol herrscht gespenstische Stille.
Verwischung von Kriegsverbrechen
Vom Kreml genehmigte Aufnahmen zeigen Putins nächtliche Fahrt durch die zerstörte Ruinenstadt. Er spricht auch mit Leuten – ausgewählten..
Von einer Bevölkerung ist nichts zu sehen, wenn Putin an zerstöten Gebäuden der russischen Angriffe vorbeifährt – auch am Theater, dem Schauplatz eines tödlichen Bombenanschlags, bei dem vermutlich mindestens 300 und möglicherweise sogar 600 Zivilisten getötet wurden.
Sie hatten das Gebäude als Zuflucht genutzt. Das Gebäude stürzte ein, als es getroffen wurde. Russland bestritt, es bombardiert zu haben, und gab dem Asow-Bataillon die Schuld. Später rissen die Russen das Gebäude ab – um Spuren ihrer Taten zu verwischen, wie es aus Kiew heisst.
Überlebenskampf der Zurückgebliebenen
Putin besichtigte auch einen von den Russen hochgezogenen Neubau in einem neuen Stadtteil mit einem Dutzend Wohnblocks. Ein paar Statisten werden als Anwohner hingestellt. «Wir haben jetzt ein kleines Stück Paradies», zitiert die «Komsomolskaja Prawda» einen Bewohner.
Nach Uno-Angaben wurden bei der russischen Belagerung 90 Prozent aller Wohngebäude von Mariupol beschädigt oder zerstört. Es gebe in der Stadt «Zerstörung, wohin man auch blickt», bestätigte der norwegische Journalist Morten Risberg, der Mariupol im Dezember besuchte, der BBC.
Risberg sprach von «gross angelegten Wiederaufbau- und Restaurierungsarbeiten» der Russen. «Sie ändern Strassennamen, übermalen die ukrainischen Farben mit russischen und stellen überall russische Flaggen auf.» Die wenigen Menschen, die noch in Mariupol verblieben seien, «konzentrierten sich darauf, zu überleben».