Säbelrasseln gehört zum Kriegsgetöse. Im Ukraine-Konflikt scheppert es immer lauter – und bedrohlicher. Seit Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 wiederholte Wladimir Putin (70) regelmässig seine Bereitschaft, auch Atomwaffen einzusetzen. Gebärden, die beim Westen bislang abperlten, weil sie allzu absurd erschienen. Das hat sich geändert.
Am vergangenen Donnerstag orakelte US-Präsident Joe Biden (79), die Welt stehe vor einer atomaren Apokalypse, wenn nicht sofort verhandelt würde. Altkanzlerin und Putin-Kennerin Angela Merkel (68) warnte am selben Tag während einer Veranstaltung eindringlich, «die Worte Putins ernst zu nehmen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sie nicht von vornherein als Bluff einzustufen». Der ukrainische Präsident setzte noch eins drauf. Man sollte dem von Russland geplanten Atomschlag mit Präventivschlägen auf russischem Boden zuvorkommen, fordert Wolodimir Selenski (44) in einem Videopost.
Mysteriöse Anschläge wie zuletzt am Samstag drehten seither weiter an der Eskalationsschraube. Ein LKW explodiert mitten auf der Krim-Brücke, die das russische Festland mit der annektierten Halbinsel Krim verbindet, entzündet einen vorbeifahrenden Zug, der Treibstoff transportiert. Die Brücke wird zum Teil zerstört – aber auch das Ansehen von Putin, der die Strecke einst feierlich eingeweiht hatte. Rechtsnationalistische Scharfmacher im Staats-TV fordern Rache. Tschetschenen-Führer Ramsan Kadyrow (46), Putins «Bluthund» und frisch ernannter Generaloberst, will den Einsatz einer kleinen Atombombe geprüft haben.
Über 60'000 gefallene russische Soldaten
Sorge macht nicht die Stärke der zweitgrössten Atommacht der Welt, sondern die Schwäche ihres Führers, der offenbar zunehmend um seine Macht und möglicherweise persönliche Existenz bangen muss. Seit Beginn der sogenannten militärischen Spezialoperation muss Wladimir Putin eine Schlappe nach der anderen hinnehmen. Die Invasion von Kiew erstickte in einem 60-Kilometer-Stau. Die besetzten Gebiete in der Ostukraine werden Stück für Stück von den Ukrainern zurückerobert. Sieben Monate nach Einmarsch kontrolliert Russland weniger Land als in den ersten Tagen des Krieges.
Über 60'000 russische Soldaten sterben an der Front. Die Kampfmoral ist auf dem Tiefpunkt. Als Wladimir Putin im September die Teilmobilisierung ausruft, flüchten 200'000 Russen ins Ausland. Und die Welt schaut zu. Der Kremlchef beeilt sich, die vier nur zum Teil besetzten Gebiete im Donbass völkerrechtswidrig zu annektieren. Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson gehören fortan zur Russischen Föderation. Die Gegenoffensive der Ukrainer kann nun als Angriff auf Russland gewertet werden, was wiederum einen Atomschlag rechtfertigen würde, so die Drohungen des Kremlchefs.
Putin könnte taktische Nuklearwaffen einsetzen
Es sind nicht unbedingt die strategischen Interkontinentalraketen, die für Nervosität sorgen. Vielmehr könnte Putin sogenannte taktische Atomwaffen wählen, etwa in der Grösse einer Hiroshima-Bombe. Sie können von U-Booten, Artilleriegeschützen oder Flugzeugen abgefeuert werden. Der Einsatz allerdings würde auch die russischen Soldaten im umkämpften Gebiet treffen, sagen Militärexperten.
Putin täte gut daran, die Finger von jeder Art von Atombombe zu lassen. Denn, so Ben Hodges (64), ehemaliger europäischer Kommandeur der US-Streitkräfte: «Die USA würden mit einem verheerenden Gegenschlag antworten.» Er gehe davon aus, dass im Fall eines Atomschlags sofort die russische Schwarzmeerflotte oder Stützpunkte auf der Krim zerstört würden.