Rote Stifte gehören normalerweise ins Repertoire jedes Lehrers. In Zukunft benötigen deutsche Lehrer dieses Werkzeug wohl nicht mehr so häufig. Konkret: Im Bundesland Schleswig-Holstein ist die Anzahl Schreibfehler in einer Deutsch-Prüfung nicht mehr entscheidend für die Note. Der Entscheid sorgt für Kritik.
Wie die «Kieler Nachrichten» berichten, ist der Hintergrund der Massnahme die Vereinheitlichung von Prüfungsbedingungen. Das nördlichste Bundesland arbeitet an der konkreten Umsetzung. Ab dem nächsten Schuljahr soll die neue Regelung gelten. Anstelle roter Umkreisungen bekommen Schüler künftig «eine qualitative Rückmeldung über Fehlerschwerpunkte und über die Systematik ihrer Fehler».
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Bislang erhalten Schülerinnen und Schüler beispielsweise nur noch die Note 2 (in der Schweiz die Note 5), wenn sie einen Rechtschreibfehler auf 149 Wörter machen. Ist es einer auf 99 Wörter, gibt es nur noch die Note 3 (in der Schweiz die Note 4).
Kritik aus der Wirtschaft
In Deutschland sorgt der Wegfall des sogenannten Fehlerquotienten für Diskussionen: Der deutsche Lehrer-Präsident Stefan Düll sieht in der Streichung kein Problem, solange eine korrekte Rechtschreibung gezielt von klein auf gelehrt wird.
Ihm pflichtet der oberste Hamburger Gymnasiallehrer Christian Gefert (56) bei. «Der sprachliche Ausdruck macht sich nicht allein daran fest, sich ganz ohne Fehler auszudrücken. Ein Zeichensetzungsfehler kann die Bedeutung eines ganzen Satzes verschieben oder aber nur schlicht ein fehlendes Komma sein. Natürlich müssen wir Fehler weiter anstreichen, aber wir müssen sie auch im Hinblick auf ihre Bedeutung gewichten», sagt Gefert.
Doch es hagelt auch Kritik: «Die Abschaffung darf nicht dazu führen, dass Schüler und Schülerinnen den Eindruck gewinnen, Rechtschreibregeln würden im späteren Berufsleben keine Rolle spielen», sagt die renommierte Sprachwissenschaftlerin Kirsten Schmöckel den «Kieler Nachrichten».
Auch aus der Wirtschaft prasseln warnende Worte auf die Entscheidungsträger ein: «Wir dürfen uns nicht beschweren, dass folgende Generationen keine Leistung mehr bringen wollen, wenn wir sogar schon bei der Rechtschreibung nachgeben. Da verbauen wir den Kindern doch die Zukunft», heisst es beim deutschen Unternehmen Wolfgang Grupp (82).
«Rechtschreibung ist nicht so wichtig, aber man muss sie können»
Blick hat beim Schweizer Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer (LCH) nachgefragt, ob auch hierzulande ähnliche Ideen verfolgt werden. Dr. Beat A. Schwendimann, Leiter Pädagogik beim Dachverband, betont: «Im Unterschied zu manchen deutschen Bundesländern gibt es in der Deutschschweiz keinen strikten Fehlerquotienten für Prüfungen.»
Schwendimann erklärt, dass in der Schulpraxis bereits heute schon unterschiedliche pädagogische Ansätze existieren. «Je nach Alter des Kindes und der Textform steht nicht ein fehlerfrei geschriebener Text im Zentrum, sondern der Inhalt. Bei einem Lernjournal beispielsweise steht die Reflexion der eigenen Fortschritte im Zentrum. Hingegen wird bei einer Matura-Arbeit korrekte Rechtschreibung erwartet.»
Laut Schwendimann gelte weiterhin, was der bekannte Sprachwissenschaftler Hans Glinz (1913-2008) vor bald 50 Jahren im Schweizer Sprachbuch schrieb: «Rechtschreibung ist nicht so wichtig, aber man muss sie können.»