Nach schweren Hirnverletzungen stellen sich Angehörige, Ärztinnen und Ärzte oft die Frage: Hat die Patientin oder der Patient das Bewusstsein wiedererlangt? Reagiert er nicht auf Ansprache, gehen viele davon aus, dass er noch im tiefen Koma liegt. Doch Studien zeigen: Dieser Schluss kann falsch sein. Manche Patientinnen und Patienten reagieren zwar äusserlich nicht, ihre Gehirne arbeiten aber kognitiv.
Eine neue Studie im «New England Journal of Medicine» fand eine solche Aktivität bei rund 25 Prozent der untersuchten Koma-Patientinnen und Patienten. «Einige Patienten mit schweren Hirnverletzungen scheinen ihre Aussenwelt nicht zu verarbeiten», erklärt Studienautorin Yelena Bodien. «Wenn wir sie jedoch mit fortschrittlichen Techniken wie fMRT und EEG untersuchen, können wir Hirnaktivitäten feststellen, die auf etwas anderes schliessen lassen.»
Die Verletzten reagierten innerlich
Die Studie untersuchte 241 Patientinnen und Patienten aus den USA und Europa mit schweren Hirnverletzungen. Während ihre Gehirne gescannt wurden, erhielten sie Anweisungen wie «Stellen Sie sich vor, Sie öffnen und schliessen Ihre Hand».
60 Personen befolgten die Anweisungen minutenlang innerlich, obwohl sie äusserlich nicht reagierten. Sie seien also aufmerksam, verstünden Sprache und hätten ein Kurzzeitgedächtnis, so die Autorinnen und Autoren.
Bisher grösste untersuchte Patientengruppe
Die Studie sei sehr bedeutend, meint Julian Bösel von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Sie umfasse die bisher grösste Patientengruppe und erfasse das Phänomen systematischer als sonst. Die Ergebnisse könnten Anlass geben, mehr Koma-Patientinnen und Patienten mit fortschrittlichen Techniken wie funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) und Elektroenzephalographie (EEG) zu beobachten.
Unklar sei allerdings, ob spezielle Therapien solchen Menschen helfen. Seit längerem werde versucht, mit Verhaltenstherapien, Medikamenten oder anderen Verfahren etwas zu bewirken, bisher meist ohne durchschlagenden Erfolg.
«Dass es das Phänomen gibt, ist klar»
Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung, hingegen findet, dass die neue Studie nichts fundamental Neues aussage. «Dass es das Phänomen gibt, ist klar.» Aber nur, dass elektrische Muster oder aktive Regionen im Gehirn gemessen würden, heisse nicht, dass diese Menschen wirklich eine höhere Form von Bewusstsein hätten. Solche Aktivität finde man auch im fMRT oder EEG von narkotisierten Menschen.
Einig sind sich Expertinnen und Experten aber, dass man mit den Betroffenen respektvoll umgehen sollte, als bekämen sie alles mit. «Viele Pflegekräfte machen das sehr gut», sagt Bösel. «Sie begrüssen den Patienten, stellen sich vor, sagen, was sie mit ihm machen.» Das sollten alle beherzigen und am Bett nicht über Angsteinflössendes sprechen.