Für den irren Killer von St. Gallen mag Giuliana R.* (†46) nur irgendeine Frau gewesen sein. Ein namenloses Opfer, auf das er im Blutrausch mit einer Pfanne so lange eindrosch, bis es starb. Als die Polizei endlich an der Speicherstrasse eintraf, schlug Steve P. (†22) noch immer auf sein Opfer ein. Bis die Polizei schoss und den Killer tödlich verletzte. Auch Giuliana R. starb Stunden später an den Folgen ihrer Verletzungen.
Im 1200-Seelen-Ort Palù bei Verona (I) hat die erschlagene Kinderbetreuerin einen Namen. Sie hat ein Gesicht, das schwarz gerahmt als Foto auf dem Sargdeckel steht. Und vor allem hat Giuliana ein Herz. Gestern wurde sie zu Grabe getragen. Als Heldin, sagt Tante Guendalina Pisano (65): «Sie war eine Mutter Courage.»
Der Sarg ist mit gelben Rosen und Sonnenblumen geschmückt
Über hundert Menschen schlossen sich am Montagnachmittag dem Trauerzug an. Es sind die Bürger des Ortes. Auch Verwandte reisten an. Aus Kalabrien, aber auch aus der Schweiz. Schweigsam folgen sie dem schlichten braunen Holzsarg, geschmückt mit gelben Rosen und Sonnenblumen. Gelb war Giulianas Lieblingsfarbe.
In Palù hat die Kalabresin ihre drei Kinder grossgezogen. Sie hat sich in der Pfarrgemeinde engagiert, in einem Krankenhaus als Putzfrau gearbeitet. Beliebt sei Giuliana gewesen, sagt Don Flavio. Bei der Abdankung in der Pfarrkirche kämpft sogar der Priester mit den Tränen. «Jedes Leben hat ein Ende», sagt der Geistliche. Dann stockt seine Stimme. Es sei aber schwer, einen Tod wie diesen zu akzeptieren. «Giuliana hat ihr Leben für andere geopfert.»
Für die Gemeinde Palù ist die Kinderbetreuerin eine Heldin
Die Kinderbetreuerin hat sich zwischen den irren Killer und mehrere Kinder geworfen, die sich ebenfalls am Tatort befanden. So berichtet es eine Angehörige. «Giuliana war mit einer der Töchter ihrer Arbeitgeberin auf dem Weg nach Hause. Sie wurde von einem verdächtigen jungen Mann verfolgt. Da hat sie das Kind schnell in den Gang geschoben und sich selbst dem Kerl in den Weg gestellt.» Dieser habe sich eine Bratpfanne gegriffen und wie von Sinnen auf die tapfere Italienerin eingeschlagen.
Immer wieder geht es in den Gesprächen der Trauenden um die Schweiz. Segen und Unheil zugleich sei das Land für Giuliana gewesen. Die Wirtschaftskrise zwang ihre Familie in die Knie. Vater und Söhne haben keine Arbeit. Das Geld für das Psychologiestudium der Tochter reichte nicht aus. Giuliana ging nach St. Gallen zurück, an den Ort, wo sie einst geboren wurde, und den sie in jungen Jahren wieder verliess. Die Familie hat dort Verwandte und Bekannte. Giuliana arbeitete bei einer Ärztin, Mutter von zwei kleinen Mädchen, um die sich die Italienerin kümmerte. «Sie liebte diese Kinder», sagt Giulianas Mamma Rita, und Giulianas Sohn Alberto fügt hinzu: «Sie war wie eine Mary Poppins.» Der kleine Ort Palù nahm Abschied von einer Heldin.
* Namen von der Redaktion geändert