Keiner wollte mit ihm zusammenarbeiten – jetzt wird FPÖ-Chef Kickl wahrscheinlich neuer Kanzler
Österreich steht vor historischem Machtwechsel

Österreichs Enfant terrible steht kurz vor dem Ziel. FPÖ-Chef Herbert Kickl wird höchstwahrscheinlich neuer Kanzler und dem Land eine neue, russlandfreundliche Ausrichtung verpassen. Wir sagen dir, was du über die Krise bei unseren Nachbarn wissen musst.
Publiziert: 06.01.2025 um 13:37 Uhr
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Aktualisiert: 06.01.2025 um 17:33 Uhr
Am Montagmorgen hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen FPÖ-Chef Herbert Kickl empfangen.
Foto: Getty Images

Auf einen Blick

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Guido FelderAusland-Redaktor

Knall in Österreich: Nach den gescheiterten Koalitionsverhandlungen kommt es höchstwahrscheinlich zu einer Premiere, die mit Argwohn beobachtet wird: Erstmals dürfte die rechte FPÖ den Kanzler stellen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen (80) hat am Montagmorgen den umstrittenen Herbert Kickl (56) widerwillig mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. 

Kickl, mit dem niemand zusammenarbeiten wollte, soll jetzt doch Kanzler werden? Wir sagen dir, wie das gehen soll, und auch, wie Kickl tickt. 

Warum steckt Österreich in der Krise?

Die Wahlen vom 29. September 2024 haben ein Politbeben ausgelöst. Die FPÖ siegte mit 28,9 Prozenten vor der regierenden ÖVP (26,3), der SPÖ (21,1) und den Neos (9,1). Obwohl Wahlsiegerin, wollte Bundespräsident Alexander Van der Bellen die rechte FPÖ nicht mit der Regierungsbildung beauftragen. Grund: ihre Ausrichtung und weil keine andere Partei mit ihr zusammenarbeiten wollte. 

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Unter Kanzler Sebastian Kurz und Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache amtete Herbert Kickl (v.l.) 2017 bis 2019 als Innenminister.
Foto: AFP

Stattdessen spielte Van der Bellen den Ball der ÖVP zu, die mit der SPÖ und den Neos eine Koalition auf die Beine stellen wollte. Doch dieser Versuch scheiterte mangels Kompromissbereitschaft kläglich. Die Rücktrittsankündigung des amtierenden ÖVP-Kanzlers Karl Nehammer (52) beendete die Verhandlungen der drei Parteien definitiv. 

Wie gross sind die Chancen, dass es einen FPÖ-Kanzler gibt?

Das ist jetzt so gut wie sicher. Nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen hat Präsident Van der Bellen einlenken müssen und FPÖ-Chef Herbert Kickl am Montagmorgen mit der Regierungsbildung beauftragt. Vermutlich wird es zu einer Koalition mit der ÖVP kommen, die nun Verhandlungsbereitschaft zeigt. 

Die Alternative wären Neuwahlen gewesen, bei denen die FPÖ allerdings ihren Vorsprung wohl noch weiter ausgebaut hätte. Denn würden jetzt Wahlen stattfinden, würde die FPÖ laut dem APA-Wahltrend auf 35,5 Prozent zulegen, während die ÖVP auf 20 Prozent einbrechen würde. 

Wer ist Herbert Kickl?

Als ehemaliger Redenschreiber und Plakatdichter von Jörg Haider (1950–2008) und Heinz-Christian Strache (55) formulierte Kickl Sprüche wie «Daham statt Islam» oder «Wir helfen zuerst dem eigenen Land – Rot-Schwarz hilft Bank und Spekulant». Als Innenminister führte er gegen Asylbewerberinnen und Asylbewerber eine strikte Politik: schnelle Abschiebung, Ausgangssperren, Hürden für Familiennachzug.

Kickl feiert ein glorioses Comeback, nachdem ihn der frühere Kanzler Sebastian Kurz (38, ÖVP) 2019 als Innenminister entlassen hat. Hintergrund des Rauswurfs war das ominöse Ibiza-Video, in dem Kickl zwar nicht erscheint, das aber die Verschleierung von Parteispenden aufdeckte. Kickl war damals laut Kurz für die «finanzielle Gebarung» der Partei verantwortlich. 

Die Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle (55) von der Fachhochschule Kärnten sieht Kickls Schwächen in seiner «Verliebtheit in die Provokation» und seiner Verbohrtheit. Seine Stärke hingegen sei die Rhetorik. «Es gelingt ihm, jedes Wording der anderen Parteien zu übernehmen und für sich zu verwenden. Er zeichnet in seinen Reden emotionale Bilder und weiss genau, wann seine Anhänger jubeln.»

Wie rechtsextrem ist die FPÖ?

Anders als die AfD in Deutschland wird die FPÖ nicht als rechtsextrem angesehen. Allerdings gibt es rechtsextreme Prägungen. Dazu gehören etwa die nationalistische und fremdenfeindliche Rhetorik und die Verbindung zu rechtsextremen Organisationen wie der Identitären Bewegung. 

Das Mauthausen Komitee Österreich, das Extremismus und Diskriminierung untersucht, hat zwischen 2013 und 2019 bei FPÖ-Politikern und -Funktionärinnen 169 rechtsextreme Aktivitäten festgestellt. 

Was würde sich unter einem Kanzler Kickl ändern?

Ein Kanzler Kickl dürfte sowohl Wladimir Putin (72) als auch Donald Trump (78) freuen. Unter Kickl mit seinem Slogan «Österreich zuerst» und «Österreich den Österreichern» würde Österreich seine Politik neu ausrichten und – neben Ungarn – zu einem weiteren Störfaktor in Brüssel werden. Unter Kickl wäre der Versuch zu erwarten, die Europa-Hilfe für die Ukraine herunterzufahren und die seiner Ansicht nach schädlichen Sanktionen gegenüber Russland aufzuheben. 

Kickl plädiert für eine «differenzierte Haltung» gegenüber dem Kreml. Sein Argument: Nur so könnte Österreich als neutrales Land aus der «Eskalationsspirale» aussteigen. 

Welche Beziehung hat Kickl zur Schweiz?

Kickl nimmt sich die Schweiz mit der direkten Demokratie, der Neutralität, der Souveränität ohne EU und dem strengen Asylrecht in vielfacher Weise zum Vorbild. Stainer-Hämmerle: «Er würde sicher versuchen, die Bande enger zu knüpfen.»

Warum kehrt Sebastian Kurz nicht zurück?

Nach der Rücktrittsankündigung des amtierenden Karl Nehammer war plötzlich wieder der 2020 abgetretene Kanzler Sebastian Kurz als neuer Kandidat in Diskussion. Trotz Korruptionsvorwürfen geniesst Kurz immer noch grossen Rückhalt. 

Aus seinem Umfeld war am Wochenende allerdings zu vernehmen, dass er an einem Comeback nicht interessiert sei – auch deshalb nicht, weil er als Kandidat der nur noch zweitstärksten Partei antreten würde. In einem Blick-Interview von 2022 sagte Kurz, der inzwischen als Berater und Investor tätig ist: «Genauso gerne, wie ich Politiker war, bin ich nun in meiner neuen Aufgabe. Ich sehe mich auch in Zukunft dort.»

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