Lage in Kasachstan bleibt unübersichtlich
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Schiessereien, Explosionen:Lage in Kasachstan bleibt unübersichtlich

Kasachstans Botschafter in Bern, Alibek Bakayev (40), rechtfertigt die massive Gewalt gegen Protestierende in seinem Land
«Das sind Banditen, Extremisten, Terroristen»

Eine beispiellose Protestwelle gegen die autoritäre Führung hat die Ex-Sowjetrepublik Kasachstan erfasst. Im Blick-Interview spricht der kasachische Botschafter in Bern über die Unruhen – und erklärt, welche Rolle Putin spielt.
Publiziert: 07.01.2022 um 18:25 Uhr
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Aktualisiert: 08.01.2022 um 16:02 Uhr
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Auch er erreicht wegen der Internetsperren seine Schwester gerade nicht: Kasachstans Botschafter Alibek Bakayev.
Foto: MICHELE LIMINA
Interview: Fabienne Kinzelmann

Kasachstan brennt, doch es dringen kaum Informationen nach draussen. Das Internet ist abgeschaltet, kasachische Medien aus der Schweiz heraus kaum zugänglich. Nach Angaben des Innenministeriums wurden bei Unruhen in den vergangenen Tagen mindestens 26 Demonstranten getötet, mehr als 3000 Menschen wurden festgenommen.

Was ist los in der Ex-Sowjetrepublik? Alibek Bakayev, Kasachstans Botschafter in Bern, reagiert schnell auf die Blick-Anfrage. Ein freundlicher, unkomplizierter Diplomat mit sichtbarer Diskussionsfreude. «Ich beantworte gerne alle Fragen. Wichtig ist mir einfach Objektivität», sagt er in perfektem Deutsch – das hat er bereits in der Schule gelernt. Per Videocall stellt er sich den Fragen von Blick.

Blick: Herr Botschafter, was passiert gerade in Ihrem Heimatland?
Alibek Bakayev:
Die Preise für russisches Gas haben sich zum 2. Januar verdoppelt, von 60 Tenge pro Liter – umgerechnet etwa 10 Rappen – auf 120. Das hängt meiner Ansicht nach mit dem Preis auf dem Weltmarkt zusammen. Im Westen Kasachstans sind Leute dann gegen den Gaspreis und die Regierung auf die Strasse gegangen. Das verstehe ich, denn die Menschen sind auf Autos und LKW angewiesen.

Es gab in den Jahren zuvor auch schon Proteste, weil Kasachstan zwar reich an Öl und Gas ist, die Bevölkerung davon aber nicht profitiert.
Das ist nicht vergleichbar. Alle Forderungen der Demonstranten wurden diesmal schnell erfüllt. Der Präsident hat die Regierung entlassen und veranlasst, dass der Gaspreis auf 50 Tenge reduziert wird. Also sogar weniger als vorher. Trotzdem versammelten sich noch Hunderte Menschen, der Protest griff dann auch auf andere Städte über, besonders in Almaty.

Hier stürmen die Demonstranten das Rathaus
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Ausschreitungen in Kasachstan:Hier stürmen die Demonstranten das Rathaus

Und den Grund dafür können Sie sich nicht erklären – etwa, dass die entlassenen Minister ohnehin nur Bauernopfer sind, weil sie im Präsidialsystem kaum etwas zu sagen haben?
Es gab die friedlichen Demonstranten, deren Forderungen erfüllt wurden. Jetzt sehen wir Gruppen, die keine konkreten Ziele und Forderungen haben. Sie zerstören einfach nur. Sie haben einen Flughafen in Beschlag genommen, die Stadtverwaltung in Brand gesetzt, Polizeimaterial kaputt gemacht, Waffen gestohlen.

Und deswegen hat Präsident Kassym-Schomart Tokajew Russland zu Hilfe gerufen, um die Protestierenden niederzuschlagen?
Das ist ein Fehlschluss. Kasachstan ist ein vollständiges Mitglied in der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit, der OVKS, zu der neben Russland auch Weissrussland, Kirgisistan, Tadschikistan und Armenien gehören. Die Organisation wird aktuell von Armenien geleitet.

Zur Person

Alibek Bakayev (40) ist seit Oktober 2019 als Botschafter der Republik Kasachstan für die Schweiz, Liechtenstein und den Vatikan im Amt. Er wuchs in der früheren Hauptstadt Almaty auf, lernte dort bereits in der Schule Deutsch. Mit 19 erhielt er ein Stipendium für ein Auslandssemester in Heidelberg (D). Auch wegen seiner guten Sprachkenntnisse entschied er sich für eine diplomatische Karriere.

MICHELE LIMINA

Alibek Bakayev (40) ist seit Oktober 2019 als Botschafter der Republik Kasachstan für die Schweiz, Liechtenstein und den Vatikan im Amt. Er wuchs in der früheren Hauptstadt Almaty auf, lernte dort bereits in der Schule Deutsch. Mit 19 erhielt er ein Stipendium für ein Auslandssemester in Heidelberg (D). Auch wegen seiner guten Sprachkenntnisse entschied er sich für eine diplomatische Karriere.

Aber de-facto sorgt Putin gerade für die Sicherheit.
Um das klarzustellen: Kasachstan ist unabhängig von Russland. Fast alle Länder der Organisation haben Einsatzkräfte nach Kasachstan geschickt, sogar das kleine Armenien hat 70 Soldaten geschickt. Es geht auch nicht um die Anzahl. Die Hauptsache ist: Das ist eine Organisation mit eigenen Regeln. Es wurden innerhalb der Organisation Gespräche geführt und dann unter Einbezug der Mitglieder eine gemeinsame Entscheidung getroffen, Kasachstan zu unterstützen. Es ist absolut falsch, dass das nur «die Russen» sind, wie ich das immer wieder von Journalisten höre.

Aber die sind es doch am Ende – wie etwa in Belarus.
Weissrussland hat sich nicht an die OVKS gewendet, wir schon. Das war ein Überfall auf Kasachstan, und deswegen haben wir Hilfe bei unseren Verbündeten gesucht.

Und damit man nicht sieht, wie die Gewalt eskaliert, haben Sie dann auch noch das Internet abgeschaltet?
Das Internet ist abgeschaltet, aber nicht für längere Zeitperioden. Diese neue Gruppe von Protestierenden, vor allem in Almaty, sind Banditen, Extremisten. Keine friedlichen Demonstranten. Und die werden ganz gezielt geführt. Die Abschaltung des Internets ist deswegen eine ganz wichtige Massnahme, um die Kommunikation der Terroristen einzuschränken.

Das Internet ist jetzt aber seit drei Tagen abgeschaltet. Kasachen im Ausland erreichen ihre Familien und Freunde nicht, unabhängige Medien können nur schlecht über die Proteste berichten.
Das ist nicht so. Ausserhalb von Almaty funktioniert das Internet vollständig.

Wann soll es wieder komplett eingeschaltet werden?
Das Internet wird in Almaty immer kurzfristig für drei, vier Stunden abgeschaltet und dann auch wieder eingeschaltet, damit die Bevölkerung die Möglichkeit hat, mit Verwandten zu sprechen. Ich bin nicht vor Ort, aber ich gehe davon aus, dass es eben immer dann abgeschaltet wird, wenn die Operation beginnt, um das Recht der Mehrheit, das Recht auf Sicherheit und Ordnung durchzusetzen.

Langzeitherrscher Nursultan Nasarbajew, der seit seinem Rücktritt 2019 im Hintergrund weiter die Fäden zog und unter anderem die Geheimdienste führte, trat in Folge der Eskalation vom Vorsitz des Sicherheitsrats zurück. Wo hält sich Nasarbajew jetzt auf?
Ich habe keine Ahnung. Ich bin ja wie Sie in der Schweiz. Ich habe das gleiche Problem mit dem Internet. Ich habe Verwandte in Almaty, meine Schwester lebt dort mit ihrer Familie. Ich gehe aber davon aus, dass er in Kasachstan, in der Hauptstadt ist.

Es heisst, er wäre geflohen.
Ich persönlich weiss nichts davon, ich habe keine Informationen.

Mitglieder seiner Familie besitzen Villen am Genfersee. Könnte er auch in der Schweiz sein?
Ganz theoretisch ist er eine freie Person und kann weltweit fliegen, solange er ein Visum hat. Rein protokollarisch müsste die Botschaft aber Bescheid bekommen, wenn er einen Besuch plant. In diesem Fall habe ich aber keine Signale aus der Hauptstadt bekommen, und er kann ja auch nicht einfach mit dem Auto reinfahren. Fragen Sie besser die Grenzpolizisten in Genf, die wissen besser Bescheid, wer ein- und ausreist.

Schwere Proteste in Kasachstan
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Russland schickt jetzt Truppen:Schwere Proteste in Kasachstan

Präsident Tokajew hat gesagt, man hätte die Unruhen im Griff. Es gab aber danach auch wieder bewaffnete Auseinandersetzungen. Wie soll es denn mit Kasachstan weitergehen?
Ich gehe davon aus, dass die Sicherheit und die Ordnung sehr bald gewährleistet werden. Vorhin hat der Präsident sich mit einer weiteren Botschaft an die Bevölkerung gewandt. Er geht jetzt streng vor.

Er hat einen Schiessbefehl ausgerufen. Sicherheitskräfte dürfen nun ohne Vorwarnung schiessen.
Der Präsident sprach von 20'000 Terroristen, die Almaty angegriffen haben. 20'000, die geschult und vorbereitet sind und gezielt geführt werden. Das ist natürlich eine Herausforderung für die Sicherheitsbehörden.

Wenn Sie behaupten «gezielt geführt» – von wem denn?
Das ist noch eine offene Frage. Unsere Behörden arbeiten gerade daran, das zu klären. Das ist aber organisiert, und ich gehe davon aus, dass diese Banden gewisse wirtschaftliche und politische Ziele haben.

Es muss doch eine Vermutung geben, wenn Sie das so sagen.
Es wurden bislang keine Namen genannt. Aber es sind wohl Organisationen, die separatistische Ziele haben.

Was denn für welche?
Wir arbeiten daran, das festzustellen. Ich gehe davon aus, dass wir bis heute Abend wissen, wer das ist. Aber die Hauptsache ist, dass die Lage in Kasachstan generell und vor allem in Almaty stabilisiert wird. Der Präsident hat alles im Griff, unter Kontrolle. Jetzt haben wir nur noch das Problem mit diesen Gruppen von Terroristen, aber das ist auch bald vorbei.

Und wann ziehen die ausländischen Soldaten ab?
Ganz genau kann ich das nicht sagen, aber ich habe gelesen, dass die Truppen bald nach Hause geschickt werden. Und um das klar zu sagen: Es wurde falsch interpretiert, dass russische Truppen nach Kasachstan kamen, um friedliche Demonstranten zu stoppen.

Davon gibt es aber Bilder und Videos.
Aber das sind nicht russische Soldaten.

Sondern Ihre eigenen?
Wir haben Militärpolizisten, genauso wie Italien oder Frankreich.

Also schlagen Ihre eigenen Leute die Demonstranten nieder, und die Russen stehen nur daneben?
Das ist eine andere Interpretation. Die friedlichen Demonstranten sind schon längst zu Hause, deren Forderungen wurden erfüllt. Die Operationen richten sich gegen Terroristen, Banditen, die alles in der Umgebung vernichten. Die Hauptaufgabe der Militärs ist es, die Gebäude zu schützen: den Präsidentenpalast, Verwaltungsgebäude, das Gebäude der Staatsanwaltschaft.

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