Lage in Kasachstan bleibt unübersichtlich
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Schiessereien, Explosionen:Lage in Kasachstan bleibt unübersichtlich

Kasachische Journalistin über Eskalation in ihrem Heimatland
«Präsenz der Russen untergräbt unsere Souveränität»

Die Unruhen verändern die Machtverhältnisse in Kasachstan – und Wladimir Putin mischt fleissig mit. Der neue starke Mann des Landes steht nun tief in seiner Schuld.
Publiziert: 09.01.2022 um 13:52 Uhr
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Kampfzone Almaty: Strassenschlachten zwischen Protestierenden und Sicherheitskräften.
Foto: keystone-sda.ch
Fabienne Kinzelmann

Noch vor einer Woche galt die Ex-Sowjetrepublik Kasachstan als fortschrittliche Autokratie, nun herrscht dort Blutvergiessen. Nachdem sich Proteste gegen gestiegene Erdgaspreise zu teilweise gewaltsamen Protesten gegen die Regierung ausweiteten, erteilte Präsident Kassym-Jomart Tokajew (68) am Donnerstag den Schiessbefehl.

Laut Behördenangaben gab es bis am Samstag mehr als 40 Tote und 4400 Festnahmen. Wie viele es genau sind, ist unklar: Aus dem grössten zentralasiatischen Land dringen nur wenige verlässliche Informationen nach draussen, das Internet ist blockiert, Journalisten dürfen nicht frei von dort berichten.

Nach mehreren Tagen heftigster Unruhen mehren sich die Anzeichen, dass hinter der überraschenden Eskalation mehr steckt als ein Konflikt zwischen Unzufriedenen und Sicherheitsbehörden – ein Machtkampf zwischen den politischen Eliten um Ex-Präsident Nursultan Nasarbajew (81) und seinem Nachfolger Tokajew. Das Staatsfernsehen berichtete am Samstag, dass der Nasarbajew-Vertraute und Leiter des Nationalen Sicherheitskomitees, Kärim Mässimow (56), sowie weitere hochrangige Beamte wegen «Hochverrats» festgenommen worden seien.

Präsident Tokajew bedankt sich bei Putin

Während auf der Strasse Chaos herrscht, räumt Tokajew offenbar auch in der Regierung auf. Die Ära seines politischen Ziehvaters Nasarbajew ist zu Ende.

Der stand nach dem Fall der Sowjetunion 1991 an der Spitze des Landes. Nach seinem Rücktritt 2019 zog er im Hintergrund weiter die Fäden und leitete den einflussreichen Sicherheitsrat, dem auch die Geheimdienste unterstehen. Vergangene Woche entzog ihm Tokajew den Posten, dann entliess er mehrere Mitglieder des alten Machtapparats.

Sein wichtigster Verbündeter ist Wladimir Putin (69). Am Samstag besprachen die beiden Staatschefs laut Mitteilung des Kremls die Lage, Tokajew dankte Putin ausdrücklich für dessen Unterstützung. Das von Russland dominierte Militärbündnis OVKS hatte 2500 Soldaten geschickt – der erste Einsatz seit der Gründung vor fast 30 Jahren.

«Der Kreml hat abgewogen und entschieden, dass ein schnelles Eingreifen auf Einladung des kasachischen Regimes die beste Option ist. Chaos – oder gar eine Revolution und mögliche Demokratisierung – in Kasachstan, Russlands engstem Verbündeten in Asien, wäre ein Schreckgespenst für den Kreml», sagt der ETH-Sicherheitsexperte Benno Zogg zu SonntagsBlick.

Auf den seit Jahren hochexplosiven Ukraine-Konflikt, bei dem die USA und Russland ab heute Sonntag mit neuen Verhandlungen in Genf weiterkommen wollen, wirke sich Putins Engagement nicht aus, so der Experte, «weil es in Kasachstan nur um Kasachstan geht».

Kasachische Journalistin befürchtet unsichere Zeiten

Der Einsatz könnte dem Kreml nutzen. Zum einen beweist Putin die Einsatzfähigkeit des als Gegengewicht zur westlichen Nato gegründeten Militärbündnisses – zum anderen bindet sich der kasachische Präsident Tokajew enger an Russland.

«Auf Kasachstan kommen unsichere Zeiten zu», sagt die in Prag lebende kasachische Journalistin Aigerim Toleukhanova (28) zu SonntagsBlick. Sie befürchtet eine Stärkung des autokratischen Systems und eine neue Abhängigkeit der seit 1991 unabhängigen Republik von Russland. «Wahrscheinlich wird die Freiheit der Menschen noch weiter beschnitten. Auch die Präsenz der russischen Friedenstruppen untergräbt in gewisser Weise die Souveränität und Unabhängigkeit Kasachstans.»

Ähnlich äusserte sich auch US-Aussenminister Antony Blinken (59). «Eine Lektion aus der jüngeren Geschichte ist, dass es manchmal sehr schwierig ist, Russen, wenn sie einmal im Haus sind, wieder zum Verlassen zu bewegen», sagte Blinken. Eine Anspielung auf Georgien und Moldawien, wo russische «Friedenstruppen» seit den 1990ern stationiert sind.

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