In Europa, Asien und den USA ging am vergangenen Mittwoch teilweise nichts mehr. Das Internet fiel oft aus, in mehreren Ländern funktionierte es nur noch sehr langsam oder teilweise gar nicht mehr. Grund dafür: Gleich drei Internetkabel zwischen den Kontinenten wurden in Marseille (F) beschädigt, wie das Cloud-Unternehmen Zscaler mitteilte.
Gleichzeitig fiel auch auf den schottischen Shettland-Inseln das Internet komplett aus. Nicht einmal die Geldautomaten funktionierten, berichtet BBC. Kurze Zeit vorher wurde auch ein Internetkabel zwischen den Färöer-Inseln und Shetland gekappt.
Steckt der Kreml dahinter?
Dass mehrere Internetkabel gleichzeitig wegen einer technischen Störung ausfallen, ist laut den Betreibern höchst unwahrscheinlich. Ein Berater der schottischen Regierungschefin Nicola Sturgeon (52) sagte am Donnerstag zu BBC, es sei «schon ein grosser Zufall, dass zwei Kabel gleichzeitig beschädigt wurden». Die Gerüchte im Hintergrund: Sabotage von Russland.
Nach den vermuteten Anschlägen auf die Öl- und Gaspipelines in den vergangenen Wochen könnte Russlands Präsident Wladimir Putin (70) jetzt auch das weltweite Internet zu sabotieren versuchen. Dafür gibt es konkrete Hinweise. Der amerikanische Marine-Experte H I Sutton fand heraus, dass kurz vor den Zwischenfällen ein Forschungsschiff der russischen Regierung spontan und ohne jede Ankündigung seine Route geändert hatte und plötzlich sehr nahe an den Kabeln vorbeifuhr.
Ob das Schiff tatsächlich etwas mit der Zerstörung zu tun hat, ist aber noch nicht klar. Möglicherweise habe das Schiff auch nur als Ablenkung gedient, so Sutton. Aufgrund des Ukraine-Kriegs würden russische Schiffe derzeit sehr genau beobachtet, eine Abweichung der Routen ziehe grosses Interesse auf sich.
Internet ist sehr fragil
Besonders schwierig würde sich die Internet-Sabotage nicht gestalten: Die hochkritische Internet-Infrastruktur ist äusserst fragil. Die Internet-Daten werden über verhältnismässig wenige Kabel rund um die Welt transportiert. Im Jahr 2022 gibt es weltweit 530 Unterseekabel, wie auf einer Karte des Marktforschungsunternehmens TeleGeography zu sehen ist. Die Kabel sind etwa so dick wie ein Gartenzaun-Draht – und kaum geschützt.
Die Karte zeigt zudem, dass einige Regionen, vor allem weit entfernte Inseln, nur von einem einzigen Kabel abhängig sind. Wird dieses beschädigt, ist die betroffene Region zurück im analogen Zeitalter. Laut der «Zeit» wurde das im Februar auf der Inselgruppe Tonga zum Problem. Ein unterirdischer Vulkanausbruch beschädigte das einzige Internet-Kabel auf die Inselgruppe nordöstlich von Neuseeland. Fünf Wochen lang mussten die Bewohner ohne Internet leben, bis die Leitungen wieder funktionierten.
Diese Abhängigkeit von den dünnen und unsicheren Kabeln könnte sich jetzt auch Putin zunutze machen. Wie der Experte Marc Helmus gegenüber der «Zeit» sagt, sei vor allem Marseille ein Problem. Dort laufen gleich 16 Tiefsee-Kabel von verschiedensten Kontinenten zusammen – eine einfachere Sabotage-Möglichkeit gibt es kaum.
DB-Sabotage hatte ähnliches Muster
Gemäss dem Experten deutet laut den von der französischen Polizei veröffentlichten Fotos vieles darauf hin, dass das Kabel in Marseille professionell getrennt wurde. Die Täter hätten sich vermutlich ausgekannt und genau gewusst, welches Kabel sie durchtrennen müssten. Ein ähnliches Muster sei bereits bei dem grossflächigen Ausfall der Deutschen Bahn Anfang Oktober festgestellt worden.
Damals wurden mehrere Kabel der DB durchtrennt. Der Zugverkehr im gesamten Nordwesten Deutschlands stand für einen halben Tag still. Auch damals hätten die Täter sehr genau gewusst, was sie machen müssten, um den grösstmöglichen Schaden anzurichten. (zis)