Samstag vor einer Woche am Zürcher HB. Ein junger Mann blockiert im Schneidersitz die einspurige Strasse am Bahnhofquai. «Ich habe Angst vor der Zukunft wegen der Klimakrise», steht auf seinem Schild. Mit Ein-Personen-Sitzblockaden will die Klimastreikbewegung Extinction Rebellion (XR) an diesem Tag auf die Probleme der globalen Erderwärmung aufmerksam machen.
Doch die Autofahrer, die nicht vorbeikönnen, sind genervt. Besonders Mustang-Fahrer H. O.* (22). Mit ihm gehen die Pferde durch – er packt den Klimademonstranten und entfernt ihn von der Strasse. Das Video davon geht viral.
Ein paar Tage später meldet sich der Klimademonstrant telefonisch bei Blick. «Ich bin Nils», stellt sich der 26-jährige Zimmermann aus dem Raum Zürich vor. Seinen Nachnamen will er nicht nennen.
Wie kam es zu der Szene mit dem Mustang-Fahrer?
Nils: Ich habe mich für den Klimaprotest auf die Strasse vor dem Zürcher HB gesetzt, drei andere XR-Aktivisten waren als Support-Team in der Nähe. Gleich in den ersten fünf Minuten sind zweimal Autofahrer ausgerastet – der Mustang-Fahrer war tatsächlich schon der zweite, der mich auf die Seite geschleift hat.
Warum haben Ihre Gspänli nicht eingegriffen?
Es gab keinen Grund zum Eingreifen! Ich hab mich sicher gefühlt, der Mustang-Fahrer war ja nicht gewaltbereit.
Was ist danach passiert?
Ich habe mich wieder auf die Strasse gesetzt. Eine Viertelstunde später kam die Polizei und hat mich weggetragen.
Ist Ihnen bei der Aktion etwas passiert?
Körperlich nein. Emotional ist so ein Protest immer aufwühlend – aber deswegen setze ich mich ja auch hin. Leute mit der Klimakrise zu konfrontieren ist für mich sehr emotional. Menschen sollen sehen, dass wir in einer Notsituation sind und – ob wir wollen oder nicht – etwas machen müssen.
Denken Sie wirklich, dass Sie mit einer Strassenblockade Menschen von mehr Klimaschutz überzeugen?
Es ist nicht die Idee, dass die Autofahrer direkt zu einer Einsicht kommen, sondern die Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken.
Also haben Sie die Autofahrer wie H. O.* absichtlich provoziert?
Man muss sicher mit so einer Reaktion rechnen. Aber mir geht es nicht ums Provozieren, sondern ums Ernstnehmen der Klimakrise. Ich bin eigentlich kein Mensch, der gern provoziert – die Aktion hat mich auch viel Überwindung gekostet. Das ist auch Teil der Botschaft. Ich sehe es einfach als meine moralische Pflicht.
Verstehen Sie die Reaktion des Mustang-Fahrers?
Ja, ich bin ihm auch nicht böse. Aber ich mache mir auch keine Hoffnung, dass ich ihn direkt damit erreicht habe. Es geht eher allgemein darum, Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. Die Stimmung war ansonsten auch recht positiv. Die Passanten drum herum hatten eher eine positive oder neutrale Meinung dazu. Für mich hat es sich gut angefühlt, da zu sitzen.
Ist es Ihnen egal, dass Sie mit einer solchen Blockade-Aktion auch Menschen treffen, die aus wichtigen Gründen unterwegs sind – die etwa zur Arbeit müssen oder zu Pflegebedürftigen?
Es kommt darauf an, was man als wichtig ansieht. Arbeit ist sicher nicht unwichtig – aber wenn unsere Lebensgrundlage wegfällt, kann eh niemand mehr schaffen. Und bei der Ambulanz oder der Feuerwehr wäre ich natürlich sofort aufgestanden!
Wie viel Zeit wenden Sie für Klimaaktivismus auf – und wo sind Ihre Grenzen?
Etwa vier Stunden in der Woche. Für mich ist klar, dass ich nur an gewaltfreien Aktionen teilnehme und dass Protest nie gegen Individuen zielt. Insofern finde ich es auch ganz wichtig, zu sagen, dass wir mit der Aktion keine Autofahrer abhalten wollten, sondern Aufmerksamkeit darauf lenken, dass unsere Regierung versagt.
Wie sind Sie zu XR gekommen?
Ich bin mir der Klimakrise schon länger bewusst gewesen. Vor anderthalb Jahren hat mich XR so ein bisschen aus meiner «Ohnmacht» geholt. Da hatte ich das Gefühl: Endlich reagiert jemand angemessen. XR ist eine der einzigen Bewegungen, die die Dringlichkeit und das Ausmass der Klimakrise versteht und entsprechend handelt – das spricht mich sehr an.
An XR gibt es auch viel Kritik. Der Bewegung werden sektenhafte Strukturen vorgeworfen, die Proteste sind oft sehr dramatisch.
Das kann ich gar nicht nachvollziehen. Wir organisieren uns dezentral, das kann ja gar nicht sektenhaft sein. Dass es düster wirken kann, wenn man den Weltuntergang thematisiert, ist ja klar. Aber wir haben auch viele Aktionen mit Musik. Und wir sind immer gewaltfrei.
Was wollen Sie mit Ihrem Protest erreichen – ausser Aufmerksamkeit?
Wir müssen uns eingestehen, dass es einfach nicht so weitergeht wie jetzt. Wir müssen uns darin einig sein, die Klimakrise zu stoppen.
Aber darin sind sich doch schon alle einig. Die Schweiz will zum Beispiel bis 2050 nicht mehr Emissionen verbrauchen, als auf natürlichem Weg oder durch Technik kompensiert werden kann.
Erstens reicht netto null 2050 nicht, weil bis dahin wirklich die ganze Welt klimaneutral sein müsste und das wohl nicht alle Länder schaffen – die Schweiz, die sich das leisten kann, müsste also vorangehen. Zweitens sieht es bisher gar nicht so aus, als würden wir netto null 2050 überhaupt schaffen.
Auch nicht mit dem CO2-Gesetz, über das die Schweiz im Juni abstimmt?
Das ist aus meiner Sicht ein absoluter Kompromiss. Und Kompromisse sind nicht genug. Die werden uns nicht zum Ziel führen.
Was schlagen Sie vor?
Wir müssen viel mehr auf die Wissenschaft hören. Und XR fordert ja eine demokratische Weiterentwicklung: Bürger*innenversammlungen, die zufällig ausgelost werden und alle gesellschaftlichen Schichten abdecken. Für mich ist klar, dass die Regierung versagt, uns langfristig zu schützen – deswegen wäre eine Bürger*innenversammlung wichtig, die über Klimaschutz-Massnahmen entscheidet.
Und was, wenn die Bürger*innenversammlung zu lasche Massnahmen beschliesst?
Ich glaube nicht, dass das passiert. Es gibt auch Vorbilder: In Frankreich etwa hat Macron so eine Versammlung einberufen – die hat angemessen entschieden. Nur leider sind ihre Entscheide nicht verbindlich.
Wann protestieren Sie das nächste Mal?
Am Freitag beim Strike for Future. Da ist XR auch dabei. Aber die Autofahrer müssen keine Angst haben: Ich setze mich nicht gleich wieder auf die Strasse.
* Name geändert