Italien wählt einen neuen Staatspräsidenten – auch Ex-Senator Antonio Razzi glaubt an das grosse Comeback des Cavaliere
«Ich gebe Berlusconi eine Wahlchance von 60 Prozent»

Italien wählt einen neuen Staatspräsidenten. Eigentlich spricht vieles für den amtierenden Ministerpräsidenten Mario Draghi. Doch Eigennutz von Parlamentariern könnte dessen Wahl verhindern und den abgeschriebenen Silvio Berlusconi zum neuen Staatsoberhaupt krönen.
Publiziert: 03.01.2022 um 20:45 Uhr
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Silvio Berlusconi (l.) und Antonio Razzi: Die beiden politisierten mehrere Jahre gleichzeitig in Rom.
Foto: Zvg
Guido Felder

Bunga Bunga, Steuerbetrug, und dann war er weg. Jahrelang hat man von Italiens vierfachem Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi (85) praktisch nichts mehr gehört. Nach seinen Sex-Partys mit jungen Frauen wurde er 2013 wegen Steuerhinterziehung zu vier Jahren Haft verurteilt, die er mit Hausarrest und sozialen Aufgaben absass. Auch ein vorübergehendes Polit-Verbot bekam er aufgebrummt.

Seit 2019 ist der mit einem Vermögen von 7,7 Milliarden US-Dollar sechstreichste Italiener wieder zurück in der Politik – als kleine Nummer im insgesamt 705 Mitglieder zählenden EU-Parlament.

Enge Kontakte zu Staatschefs

Doch jetzt setzt der Cavaliere, wie Berlusconi genannt wird, zum grossen Comeback an: Voraussichtlich am 24. Januar könnte er zum Staatspräsidenten Italiens und somit zum Nachfolger von Sergio Mattarella (80) gewählt werden.

Seine Chancen stehen gut. Antonio Razzi (73), der 50 Jahre in Emmenbrücke LU gelebt und von 2006 bis 2018 in Rom zuerst als Abgeordneter und dann als Senator geamtet hat, sagt gegenüber Blick: «Ich gebe Silvio eine Wahlchance von 60 Prozent!»

Staatspräsident und Ministerpräsident – was ist der Unterschied?

In parlamentarischen Regierungssystemen gibt es ein Staatsoberhaupt (Monarch, Staatspräsident) sowie einen Regierungschef (Ministerpräsident, Premierminister). In Italien wird der Staatspräsident für sieben Jahre gewählt. Er hat repräsentative Aufgaben und auch einen wesentlichen Einfluss auf Regierung und Parlament. Die Regierung kann nur mit seiner Zustimmung Gesetzesentwürfe ins Parlament einbringen. Er kann das Parlament oder einzelne Kammern auflösen.

Der Ministerpräsident ist Chef der Regierung. Er schlägt die Minister vor, die der Staatspräsident absegnen muss. (gf)

In parlamentarischen Regierungssystemen gibt es ein Staatsoberhaupt (Monarch, Staatspräsident) sowie einen Regierungschef (Ministerpräsident, Premierminister). In Italien wird der Staatspräsident für sieben Jahre gewählt. Er hat repräsentative Aufgaben und auch einen wesentlichen Einfluss auf Regierung und Parlament. Die Regierung kann nur mit seiner Zustimmung Gesetzesentwürfe ins Parlament einbringen. Er kann das Parlament oder einzelne Kammern auflösen.

Der Ministerpräsident ist Chef der Regierung. Er schlägt die Minister vor, die der Staatspräsident absegnen muss. (gf)

Sein langjähriger Freund, dem er eben noch am Telefon schöne Weihnachten gewünscht habe, könne in den meisten Regionen auf bürgerliche Unterstützung zählen. «Zudem gilt Berlusconi bei den Italienern als Mann, der sich konstruktiv auf internationalem Parkett bewegt und engen Kontakt zu Staatschefs wie Putin und Macron pflegt», sagt Razzi.

Neu-Parlamentarier fürchten Rauswurf

Diese Aussage ist nicht einfach eine Schwärmerei eines Berlusconi-Freundes, sondern eine nüchterne Einschätzung. Zwar wäre der aktuelle, erfolgreiche und international anerkannte Ministerpräsident Mario Draghi (74) der prädestinierte Staatspräsident. Doch dessen Wahl könnte an den auf eigenen Vorteil bedachten Parlamentariern scheitern, erklärt Razzi.

Denn bei einer Wahl Draghis zum Staatspräsidenten käme es im Frühling wohl zu um ein Jahr vorgezogenen Neuwahlen. «Ein Schreckensszenario für viele der neuen Parlamentarier», sagt Razzi. Durch eine Verfassungsreform wird die Anzahl Sitze in beiden Kammern um insgesamt 345 Mitglieder reduziert, womit die Abgeordnetenkammer ab kommender Wahl noch 400 und der Senat noch 200 Sitze zählen wird.

Razzi, der der Präsidentenwahl beiwohnen wird, erklärt: «Viele der neuen Parlamentarier haben Angst, dass sie schon nach drei Jahren wieder rausfliegen und somit die lukrative Rente nicht erhalten, die erst nach viereinhalb Jahren ausbezahlt wird.»

Berlusconi müsste die ersten drei Wahlgänge überstehen, in denen eine Zweidrittelsmehrheit zählt. Beim vierten Wahlgang genügt das absolute Mehr. «Da könnte es Berlusconi schaffen, es wäre ein Geschenk für Italien», meint Antonio Razzi, der seit 2010 mit seiner Frau in Pescara und Rom wohnt und bei der letzten Präsidentenwahl vor sieben Jahren selber neun Stimmen verbuchen konnte.

Razzi hatte 2010 bei einem Misstrauensvotum mit einem Frontenwechsel von der oppositionellen Partei Italia dei Valori zur Gruppe Noi Sud eine Niederlage Berlusconis verhindert. Dafür waren ihm ein sicheres Mandat sowie die Tilgung einer Hypothek angeboten worden.

Berlusconi braucht weitere Unterstützer

Als neutraler Beobachter schliesst auch Nino Galetti (49), Leiter des Auslandsbüros Italien der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie Wissenschaftspreisträger des Deutschen Bundestags, Berlusconis Wahl nicht aus. Die Unterstützung seiner Forza Italia sowie der rechtspopulistischen Lega und der nationalistischen Fratelli d'Italia reiche Berlusconi zwar nicht für die absolute Mehrheit. Galetti: «Die Frage ist aber, wie viele weitere Unterstützer Berlusconi bei den Wahlleuten finden wird. Gelingt es ihm, eine Mehrheit zu organisieren, hat er eine realistische Chance, der nächste Staatspräsident Italiens zu werden.»

Was könnten die Italiener von Berlusconi erwarten, der 85 Jahre alt ist und monatelang an den Folgen einer Corona-Infektion gelitten hat? Galetti meint: «Die Italiener sind an Staatspräsidenten über 80 gewöhnt, doch erwarten sie eine tatkräftige und integre Persönlichkeit, die Ruhe in die gewöhnlich aufgeregte Tagespolitik bringt. Klar ist, dass Berlusconi ein überzeugter Europäer ist, der auch gegenüber den Nachbarstaaten keinen Zweifel an der Verankerung Italiens in der Europäischen Union und im westlichen Bündnis lassen würde.»

Auch Frauen im Rennen

Bei Umfragen führt zurzeit Draghi mit 29 Prozent vor Berlusconi mit 17 Prozent. Dann folgt grosse Leere. Noch aber ist das Rennen offen.

Neben Draghi und Berlusconi stehen auch Ex-Regierungschef Giuliano Amato (83) und Ex-Abgeordnetenchef Pier Ferdinando Casini (66) in Position. Auch Frauen sind im Rennen, so zum Beispiel Justizministerin Marta Cartabia (58), die ehemalige Bildungsministerin Letizia Moratti (72) und die Senatschefin Maria Elisabetta Alberti Casellati (75).

Das Wahlgremium umfasst 1009 Personen, die sich aus den Mitgliedern des Senats und des Abgeordnetenhauses sowie aus je drei Vertretern der zwanzig italienischen Regionen zusammensetzen. Die Spannung bleibt bis zum Wahltag. Galetti: «Die Wahl des italienischen Staatspräsidenten gleicht einem päpstlichen Konklave. Zu Beginn der Wahlgänge weiss man noch nicht, welcher Kandidat als Sieger hervorgeht.»

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