Italien schickt Flüchtlinge nach Albanien – auch die EU will die Schraube anziehen
So will Europa seine Asylbewerber loswerden

Die EU-Staatsoberhäupter treffen sich am Donnerstag, um erneut über die Asylpolitik zu beraten. Italiens Premierministerin Giorgia Meloni will Flüchtlinge bereits im Mittelmeer abweisen und in albanischen Lagern unterbringen. Wird das Modell zum EU-Standard?
Publiziert: 16.10.2024 um 18:26 Uhr
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Aktualisiert: 16.10.2024 um 19:52 Uhr
Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen möchte am Donnerstag über neue Asylreformen sprechen. Auch ein umstrittener Vorschlag Italiens steht im Raum.
Foto: Getty Images

Auf einen Blick

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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Ein Rechtsrutsch nach dem anderen prägt die Regierungen in Europa. Rechte bis rechtspopulistische Parteien werden vor allem durch Migrationsthemen beflügelt – die europäische Bevölkerung hat die Schnauze scheinbar voll. Die neuen Regierungen reagieren: Zuletzt starteten die Italiener ein eigenes, rigoroses Abschiebeprogramm. Die sonst liberale EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (66) kündigte am Dienstag an, dass genau dieses italienische Modell eines der Hauptthemen des EU-Gipfels am Donnerstag sein soll. Möchte die EU-Chefin das italienische Modell gar europaweit einführen?

Kommt jetzt der grosse Asyl-Hammer?

Im Fokus des Gipfels steht einerseits die schnellere Ausschaffung abgewiesener Asylanwärter. Andererseits rückt ein anderes Thema immer weiter in den Fokus: Möglichkeiten, damit es Migranten gar nicht erst mehr in die EU schaffen – sondern bereits im besten Fall vor den Grenzen der Union abgewiesen werden können. So sollen Migranten einfacher in ihre Herkunftsländer abgeschoben oder gar gänzlich von einer Reise abgeschreckt werden.

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Kommt jetzt die grosse Asyl-Verschärfung? Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (66) kündigte zwei Tage vor dem nächsten EU-Gipfel am Donnerstag an, dass der erst im Mai beschlossene Asyldeal erneut an der Spitze der Traktandenliste stehen wird.
Foto: imago/Chris Emil Janßen

Ein wachsender Anteil der EU-Bevölkerung scheint nicht mehr dazu bereit, die unkontrollierte Einwanderung und deren Folgen zu tragen. Dieses Empfinden schlägt sich in den neuesten Wahlergebnissen Europas nieder: Bei den Europawahlen, in den Niederlanden, Österreich oder Deutschland wählte die Bevölkerung rechte und Asyl-kritische Parteien. Die gemässigteren Parteien fürchten sich, dass rechtspopulistische Kräfte dank des Migrationsthemas noch stärker werden könnten, als sie es ohnehin sind. Die Devise, auch von EU-Chefin von der Leyen, lautete also: Flucht nach vorne.

Am Donnerstag soll auch das neue – und umstrittene – Abschiebeprogramm der italienischen Rechtsaussen-Regierung von Giorgia Meloni (47) Thema sein. 

Was macht Italien genau mit den Flüchtlingen?

Die italienische Regierung geht einen entscheidenden Schritt weiter, als der Asyldeal vom Mai vorsieht: Als erster europäischer Staat wendet Italien das Prinzip der «Externalisierung» an. Meloni will, dass männliche Bootsflüchtlinge im Mittelmeer erst gar nicht mehr auf EU-Festland stossen. Italien hat dafür in Albanien Asyllager gebaut, um dort Anträge zu bearbeiten, die ohnehin kaum Aussicht auf Erfolg haben. Das Experiment dafür startet pünktlich zum EU-Gipfel: Ein erstes Marineschiff mit 16 aufgegriffenen Bootsflüchtlingen aus Ägypten und Bangladesch an Bord legte am Mittwochvormittag in Albanien an.

Könnte das Italien-Modell zum EU-Standard werden?

Meloni erntete für ihren «migrationspolitischen Pioniergeist» sogar Lob von der sehr liberalen von der Leyen. Allerdings ist unklar, ob die EU diese Methode im grossen Stil adoptieren möchte. Schliesslich gibt es auch moralische Bedenken: Die Container-Lager in Albanien erinnern an ein Gefängnis, nicht an einen sicheren Hafen für Flüchtlinge. Organisationen wie die deutsche «Pro Asyl» kritisierten das Modell bereits.

Zudem bleibt rätselhaft, wieso die Rückweisung von Migranten ausgerechnet in Albanien gelingen soll – wenn es vor Ort in Italien in der Vergangenheit auch nicht klappte. Ähnlichen Hürden könnten also auch andere EU-Staaten bei einer eigenen Umsetzung des Modells begegnen. Hinzu kommt der hohe Preis des Unterfangens: Laut italienischen Medien blätterte Melonis Regierung im Schnitt 18'000 Euro pro Migrant hin. Das ist ein gewaltiger Aufwand für eine Unternehmung, deren einziges Ziel es letztendlich ist, einen Abschreckungseffekt auf Migranten zu erzielen.

Gibt es noch andere Vorschläge?

Einige EU-Staaten, allen voran Italien, drängen darauf, die Beziehungen zu Syrien zu normalisieren. So könnte die Abschiebung von Migranten erleichtert werden. Die EU hatte die diplomatischen Beziehungen zu dem Land 2011 abgebrochen. In Europa sind in den letzten zehn Jahren mehr als eine Million syrische Flüchtlinge und Asylbewerber angekommen, so die Daten des UN-Flüchtlingshilfswerks aus dem Jahr 2021.

Die EU setzt in der Migrationspolitik zudem auf eine Zusammenarbeit mit Staaten wie Tunesien, Libyen und der Türkei. Die Union bezahlt diese Länder dafür, Migranten an der Weiterreise in EU-Staaten zu hindern. UN-Experten klagen Menschenrechtsverletzungen an. Von der Leyen erklärte in ihrem Brief, die EU strebe ähnliche Partnerschaften auch mit westafrikanischen Staaten wie Mauretanien, Mali und dem Senegal an.

Bei der Flüchtlingsfrage ist die EU tief gespalten. Nebst dem umstrittenen Italien-Plan gibt es noch ein weiteres Sprengstoff-Thema am Gipfel: Polen will plötzlich das Asylrecht komplett aussetzen. Und Ungarns Regierungschef Viktor Orbán (61) fordert neuerdings die totale Abschottung der EU gegenüber Migranten.

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