Ist das die Wunderlösung für Europas Asyl-Probleme?
So funktioniert Melonis Migranten-Deal mit Albanien

Italien will das Asylverfahren für bis zu 39'000 Migranten nach Albanien auslagern. Wie soll das gehen? Was kassiert Albanien dafür? Wir zeigen, wie das italienische System funktionieren soll und warum eine ähnliche Idee in Grossbritannien auf Eis liegt.
Publiziert: 07.11.2023 um 20:10 Uhr
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Aktualisiert: 07.11.2023 um 20:20 Uhr
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Ankunft in Capo Passero: Dieses Jahr haben schon gegen 150'000 Migranten Italien mit dem Boot erreicht.
Foto: Anadolu Agency via Getty Images
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Guido FelderAusland-Redaktor

In die europäische Migrationspolitik kommt Bewegung. Die deutsche Regierung hat am Dienstag verkündet, dass sie prüfen wolle, Asylverfahren in Drittstaaten zu verlagern. Gleichzeitig hat die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (46) überraschend mitgeteilt, dass sie einen ähnlichen Weg einschlagen wolle: Sie habe mit der albanischen Regierung vereinbart, Tausende übers Mittelmeer anreisende Migranten nach Albanien zu führen.

Wir zeigen, wie das italienische System funktionieren soll, und welche Probleme es mit sich bringt.

Was plant Meloni?

Dieses Jahr verzeichnet Italien bereits 144’700 Migranten, die mit dem Boot angekommen sind. Im vergangenen Jahr waren es in der gleichen Zeitperiode 87’300. Rom will dem grossen Zustrom mit Auffanglagern im Nicht-EU-Staat Albanien begegnen. Dort sollen übers Mittelmeer anreisende Personen untergebracht werden.

Ministerpräsidentin Meloni: «In den beiden Zentren werden die Migranten so lange bleiben, wie es für die regulären Aufnahmeverfahren erforderlich ist. Sobald die Zentren voll funktionsfähig sind, kann ein jährlicher Zustrom von insgesamt 39’000 Personen in Richtung Albanien erfolgen.» Das Abkommen gelte nicht für Minderjährige, schwangere Frauen und andere schutzbedürftige Personen.

Wer betreibt die Zentren in Albanien?

Italienisches Personal wird die Migranten im albanischen Hafen von Shengjin registrieren und sie 20 Kilometer ins Landesinnere, in die Region Gjader, in zwei Zentren schicken. Diese werden von Italien auf eigene Kosten verwaltet und bereits im Frühling 2024 betriebsbereit sein. Albanien werde bei der Überwachung der Einrichtungen mitwirken.

Hat Italien die Wunderlösung gefunden?

Laut Meloni, ja. Sie sagt: «Dieses Abkommen ist von europäischer Tragweite und zeigt, dass wir bei der Bewältigung der Migrationsströme zusammenarbeiten können.»

Allerdings gibt es viele Unsicherheiten. Rainer Münz (69), ehemals migrationspolitischer Berater der EU-Kommission, sagt gegenüber Blick: «Rund um Albanien gibt es keine Grenzzäune. Ein Weiterziehen wird für abgelehnte Asylbewerber möglich sein.» Zudem stelle sich die Frage, was mit den Migranten passiere, die ein Bleiberecht erhalten. Münz: «Sind die EU-Staaten bereit, sie aufzunehmen? Und nach welchem Verteilschlüssel?»

Ist das System rechtlich sauber?

Die Vereinbarung verstosse gegen internationales und europäisches Recht, sagte die sozialdemokratische Oppositionspolitikerin Elly Schlein (38). Die linke Opposition in Italien wirft Meloni auf X vor, eine Art «italienisches Guantánamo» ausserhalb der Europäischen Union zu erschaffen. Es gebe keine Möglichkeit, den Haftstatus der untergebrachten Flüchtlinge unabhängig zu überprüfen.

Wie viel bezahlt Italien an Albanien?

Ob und wie viel Geld fliesst, ist nicht bekannt. Es hiess, dass weitere Details in den nächsten Tagen ausgearbeitet würden. Der albanische Ministerpräsident Edi Rama (59) betonte aber seine Dankbarkeit und Schuld gegenüber Italien, das nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Tausende Albaner aufgenommen hat.

Rama sagte: «Ich glaube nicht, dass wir jemals in der Lage sein werden, unsere Schuld gegenüber Italien zu begleichen für das, was die Institutionen für uns getan haben, vom ersten Tag an, als wir an diesem Ufer des Meeres ankamen, um Zuflucht zu finden, der Hölle zu entkommen und uns ein besseres Leben vorzustellen. Wenn Italien ruft, ist Albanien da.»

Was sagen die albanischen Medien?

Der Deal wird kritisch aufgenommen. Die Demokratische Partei hält den Deal für intransparent. Weiter wird gesagt, dass auf diesem Weg Kriminelle und Terroristen ins Land einreisen könnten. 39’000 Migranten seien eine Bedrohung für den strategisch wichtigen Hafen von Shengjin und würden die nationale Sicherheit gefährden.

Rama wird vorgeworfen, den Deal aus persönlichen Interessen eingegangen zu sein. Noch vor wenigen Jahren hatte Rama gesagt, dass man Menschen in Not nicht «wie Giftmüll irgendwo abladen» solle.

Ist Italien das erste Land mit diesem System?

Nein, schon die britische Regierung initiierte einen ähnlichen Plan in Zusammenarbeit mit Ruanda. So sollten einerseits Asylbewerber mit positivem Entscheid ins afrikanische Land verlegt werden können. Andererseits sollte Ruanda von Grossbritannien auch illegale Einwanderer übernehmen. Die Umsetzung wird allerdings durch ein Gerichtsurteil blockiert, das solche Abschiebungen als rechtswidrig betrachtet, weil Ruanda kein sicherer Drittstaat sei.

Was planen Deutschland und die Schweiz?

Kanzler Olaf Scholz (65) hat am Dienstag mitgeteilt, dass Deutschland die Schraube im Asylwesen anziehen wolle. So soll unter anderem geprüft werden, ob Asylverfahren ausserhalb Europas durchgeführt werden können. Auch die SVP fordert, dass die Schweiz Asylverfahren direkt in Afrika – wo viele Migranten herkommen – abwickelt. Der Vorschlag fand bisher in Bern keinen Anklang.

Welches ist der Unterschied zum EU-Abkommen mit der Türkei?

Im Gegensatz zum Meloni-Deal wickelt die Türkei für die EU keine Asylverfahren ab. Vielmehr hält die Türkei Migranten zurück, die in die EU einreisen wollen. Die EU bezahlt Ankara dafür Milliarden von Euro. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (69) benützt die Migranten immer wieder als Druckmittel für Verhandlungen. In der Türkei leben laut Uno knapp vier Millionen Flüchtlinge und Asylsuchende.

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