Eine kleine Gruppe von Anwohnern steht am eisernen Tor zum Kai. Dort, abgeschottet hinter viereinhalb Meter hohen Zäunen, ist die Bibby Stockholm vertäut. 100 Meter lang, drei Stockwerke hoch, mit dem Charme eines Plattenbaus. 222 Kabinen mit Stockbetten sind an Bord. Über 500 Männer im Alter von 18 bis 65 werden hier in Kürze hineingepfercht. Einen bitteren Spitznamen hat der Wohn-Lastkahn, Baujahr 1976, bereits: das «Gefängnisschiff».
Die Bürger haben Willkommenspäckchen parat gemacht. Shampoo, Seife, Schreibblock und Stifte, einen Stadtplan und eine Liste mit nützlichen Telefonnummern für die ersten Flüchtlinge, die das schwimmende Asylzentrum im südenglischen Hafen an diesem verregneten Dienstagmorgen beziehen.
Brexit-Versprechen nicht eingehalten
Das grosse Brexit-Versprechen, die Grenzen für Flüchtlinge zu schliessen, haben die konservativen Torys nicht gehalten. Über 230'000 Flüchtlinge hat Grossbritannien. Allein im vergangenen Jahr landeten 45'000 Migranten illegal im Vereinigten Königreich, 13'000 seit Jahresbeginn. 130'000 Menschen warten auf ihr Asylverfahren. Englands Auffanglager platzen aus den Nähten. Daher wohnen 50'000 Asylbewerber in Hotels. Das allein kostet den britischen Steuerzahler sechs Millionen Pfund am Tag (6,6 Millionen Franken).
Das soll sich ändern. Und die Bibby Stockholm sei erst der Anfang, heisst es aus dem Home Office, der britischen Migrationsbehörde. Man plane, über 3000 Asylbewerber in nächster Zukunft auf zwei weitere Lastkähne und drei ausgedienten Militärkasernen zu verteilen. Fernziel ist jedoch, die Flüchtlingen ganz loszuwerden.
Neues Gesetz verbietet illegalen Flüchtlingen Asylgesuch
Im Juli 2023 verabschiedete das Parlament einen umstrittenen Gesetzentwurf, der von König Charles III. noch abgesegnet werden muss. Das Gesetz verwehrt irregulär eingereisten Flüchtlingen einen Asylantrag und erlaubt ihre sofortige Abschiebung. Die Regierung setzt auf Abschreckung.
Premier Rishi Sunak (43) will damit Angst und Schrecken verbreiten. Asylverfahren sollen in Drittstaaten vorgenommen werden, z.B. in Ruanda. Die Lösung musste im Juni 2023 allerdings auf Eis gelegt werden. Ein Londoner Berufungsgericht hatte den Plan als rechtswidrig verurteilt mit dem Hinweis, dass das ostafrikanische Land kein sicherer Drittstaat sei.
Jetzt haben die Torys eine neue Idee: Flüchtlinge könnten auf die Insel Ascension deportiert werden. Das 88 Quadratkilometer grosse Eiland im Südatlantik gehört zum Britischen Überseegebiet und ist eines ganz sicher: sehr weit weg. Ascension liegt zwischen Afrika und Südamerika.