Handelszeitung: Aussenminister Ignazio Cassis sagte am Montag in Bern, dass das Schweizer Recht nicht zulasse, die Hamas als Terrororganisation anzuerkennen. Ihre Gedanken dazu?
Ifat Reshef: Das ist kein neues Argument. Ich denke aber, dass jeder mittlerweile weiss, womit man es bei der Hamas zu tun hat. Hamaskämpfer sind keine Freiheitskämpfer, und, wie ich für die Palästinenserinnen und Palästinenser hoffe, auch nicht diejenigen, welche sie jetzt oder in der Zukunft repräsentieren. Die Hamaskämpfer sind bösartige, mordende Terroristen mit denselben Werten, wie der Islamische Staat in Syrien (Isis) sie hatte. Und so sollten sie auch behandelt werden. Die Hamas ist nicht nur eine Gefahr für Israelis, was man auch daran sieht, wie viele Ausländer von ihr umgebracht wurden. Gegen ihre Ausweitung sollte die internationale Gemeinschaft jetzt vorgehen.
Dann erwarten Sie auch mehr von der Schweiz?
Ja, sowohl was die Hamas als auch was die Hisbollah angeht. Das sind gefährliche Terrororganisationen, die gestoppt werden müssen. Es gibt sicher auch hier Wege und Möglichkeiten, sie entsprechend zu behandeln, sodass sie nicht in der Lage sind, auf europäischem oder gar Schweizer Boden zu operieren.
Wie zum Beispiel?
Das überlasse ich den Schweizer Behörden, dem Parlament, der Regierung. Ich sehe mich nicht in der Position, zu sagen, wie die Gesetze aussehen sollten. Die internationale Gemeinschaft sollte sich wie bei Al Kaida und Isis auf eine gemeinsame Linie verständigen. Einzelne Länder müssten dann vielleicht auch ihre Rechtsprechung an gemeinsame Prinzipien anpassen.
Sehr diplomatisch. Reagieren Sie auch so zurückhaltend, wenn jemand – wie diese Woche Mitte-Nationalrat Heinz Siegenthaler – über Israelis sagt, sie lebten nach dem «Alten Testament nach der Devise ‹Auge für Auge, Zahn für Zahn›»?
Ich kommentiere die Aussagen einzelner Parlamentarier nicht. Es gibt keine Rechtfertigung für das Grauen, das sich ereignet hat. Familien wurden hingerichtet, Eltern abgeschlachtet, Kinder nach Gaza verschleppt. Ich denke, die ganze zivilisierte Welt steht in der Kreide, die Hamas als das zu bezeichnen, was sie ist: eine mörderische Terrororganisation, die Israelis und Palästinenser gleichermassen in Gefahr bringt.
Wie erklären Sie sich, dass Israel trotz alledem immer noch Mühe hat, zu erklären, dass es nicht der Aggressor ist?
Es gibt definitiv eine bösartige Hetzkampagne von verschiedenen Seiten gegen Israel. Aber ich glaube nicht, dass sie diesmal wirklich wirkt. Aktuell erhalten wir sehr viel Sympathie, Solidarität und Unterstützung. Das ist sehr, sehr wichtig, denn Israel kämpft jetzt, um sich selbst und seine Bürger zu verteidigen. Unsere Politik war und wird immer nur die sein, dass wir nicht erwarten, dass andere unsere Kriege führen. Wir verteidigen uns selbst, und zwar aus eigener Kraft. Aber wir erwarten Verständnis und Solidarität, und die Menschen in Israel sind jetzt in Not.
Die Solidarität der internationalen Gemeinschaft für den Überlebenskampf Israels steht nicht in Frage. Dennoch gibt es auch Kritik an einzelnen militärischen Reaktionen. Die Regierung hat den Gazastreifen nicht nur angegriffen, sondern auch noch komplett abgeriegelt und blockiert die Einfuhr von Wasser und Nahrungsmitteln. Ein völkerrechtliches Tabu, das zudem auch die israelischen Geiseln gefährdet.
Das ist ein schwieriges Dilemma. Aber wir sind mit einer enormen Bedrohung, einer ständigen Bedrohung, konfrontiert, die wir abbauen müssen. Kriege sind nie schön.
Sie opfern zur Not also auch die eigenen Leute?
Ich bin kein Kommandeur, und ich treffe diese Entscheidungen nicht. Aber in einem Krieg müssen viele schwierige, herzzerreissende Entscheidungen getroffen werden. Ich weiss nicht, welche wir treffen müssen. Was ich weiss, ist: Wir müssen die Hamas schnell und schwer treffen, weil sie sonst weitermacht. Und die internationale Gemeinschaft muss die Hamas als De-facto-Führung des Gazastreifens auffordern, Verantwortung für das Leben von Unschuldigen, von Frauen, Kindern, Männern, Alten, zu übernehmen. Nicht mal das Rote Kreuz darf dort gefangene Israelis besuchen, darunter Menschen mit ernsthaften Gesundheitsproblemen. Das zeigt, dass das kein ‹normaler› Konflikt zwischen zwei Staaten ist. Die eine Seite ist ein Mitglied der Vereinten Nationen – die andere eine brutale Mörderbande.
Und diese hat Zugriff auf Hilfsgelder, auch aus der Schweiz.
Das ist die Ironie. Israel hat auch noch geholfen, mit internationalen und regionalen Partnern Projekte zu fördern, die zu einer erheblichen Verbesserung der zivilen Infrastruktur des Gazastreifens und der wirtschaftlichen Lage der Bürger dort führen sollten. Die Hamas-Führung aber plante gleichzeitig, Israelis zu ermorden – wohl wissend, dass dies Gaza in einen neuen Kreislauf der Gewalt hineinziehen und den eigenen Bürgern Schaden und Gefahr bringen würde. Die Hamas begeht also in Wirklichkeit ein doppeltes Kriegsverbrechen. Sie zielt absichtlich auf israelische Zivilisten und versteckt sich selbst hinter ihren eigenen Zivilisten. Auch zum Wohle der Zivilisten in Gaza muss das aufhören.
Muss die Schweiz die Hilfsgelder stoppen?
Wir sind nicht gegen die Hilfe. Aber die Verwendung der Gelder muss überprüft und überwacht werden, damit das Geld nicht nur nicht den Terroristen zugutekommt, sondern auch nicht den Organisationen, die – wie im Fall der Palästinensischen Autonomiebehörde – Kinder darin unterrichtet, Terroristen zu verherrlichen, damit sie in deren Fussstapfen treten. Schweizer Steuerzahlende sollten sicher sein können, dass ihr Geld für die Schaffung von Frieden und für den Aufbau und die Stärkung des Verständnisses zwischen Israelis und Palästinensern verwendet wird und nicht für das Gegenteil.
Sie beschreiben Israel als einen Akteur, der immer nur das Beste für die Menschen im Gazastreifen getan hätte. Wie erklären Sie sich dann, dass die Hamas so einen grossen Rückhalt in der Zivilbevölkerung hat?
Es ist schwierig und herausfordernd, all das in einem Gebiet zu tun, das von einer Terrororganisation kontrolliert wird, die alle zwei, drei Jahre und manchmal sogar alle zwei, drei Monate Raketen auf Israel schiesst – jedes Mal in höherer Anzahl und manchmal mit grösserer Reichweite. Die Menschen im Gazastreifen brauchen Hilfe. Aber das geht nur bedingt, wenn eine solche Regierung im Amt ist. Wir haben nicht nur mit verschiedenen Partnern an Lösungen gearbeitet, sondern es sogar mit der Hamas selbst versucht. In den vergangenen Monaten gab es sogar eine Rekordzahl an Gaza-Bewohnern, die jeden Tag zum Arbeiten nach Israel kommen konnten. Und dennoch begann der Angriff.
Welche Szenarien sehen Sie für den weiteren Verlauf?
Das ist sehr schwierig zu sagen. Wir bereiten uns auf einen langen und anstrengenden Kampf vor. Mit Sicherheit wissen wir aktuell nur, dass wir einen Feind vor uns haben, den wir eindämmen müssen. Denn, machen wir das nicht, wird die Bedrohung, die dieser darstellt, weiter bestehen.
Rechnen Sie wegen der Hisbollah mit einer zweiten Front an der Grenze zum Libanon?
Ich hoffe, dass es nicht dazu kommt. Aber wenn doch, werden wir auch das durchstehen. Wir haben ja keine andere Wahl. Die Hamas, der palästinensische Islamische Dschihad und natürlich der Iran und die Hisbollah, die sie mit Geld, Waffen und militärischer Ausbildung versorgen, wollen den israelischen Staat auslöschen.
Was müsste für einen Friedensprozess passieren, und wer könnte in diesem Fall vermitteln?
Die Hamas hat gerade deutlich andere Interessen. Wenn man gerade 900 Menschen an einem Tag ermordet hat, setzt man sich nicht am nächsten an den Verhandlungstisch. Jetzt muss die israelische Armee erst mal gegenhalten.
Wäre Israel willig, jemals wieder mit der Hamas zu verhandeln?
Es ist zu früh, um das zu sagen.
Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.
Die Beziehungen zwischen Israel und seinen Nachbarn haben sich in den vergangenen Jahren positiv entwickelt, auch dank der sogenannten Abraham-Abkommen. Welche Rolle spielen diese Beziehungen in der aktuellen Situation?
Aus meiner Sicht sind diese Nachbarländer alle entsetzt angesichts der monströsen Dimension des Angriffs. Die Reaktionen klingen allerdings etwas vorsichtiger, sie rufen hauptsächlich zur Ruhe auf. Aber ich denke nicht, dass die historische Leistung der Abkommen in Frage steht. Die Führer dieser Länder, einschliesslich Saudi-Arabien, mit denen wir noch kein offizielles Abkommen haben, haben erkannt, dass es besser ist, zusammenzuarbeiten als gegeneinander zu arbeiten. Wir teilen Herausforderungen wie Energiesicherheit oder den Klimawandel sowie gemeinsame Feinde wie etwa den Iran, der die Sicherheit in der gesamten Region gefährdet.
Israel gilt als Startup-Nation. Doch wegen der innenpolitischen Querelen und des Protestes gegen die Regierung in den vergangenen Monaten verliessen Talente scharenweise das Land und Investoren zogen Gelder ab; rund 20 Prozent Kapital soll den Jungfirmen fehlen. Mit dem Krieg dürfte sich die Situation verschlimmern. Was bedeutet das für Israels Wirtschaft?
Die Situation war vor dem Angriff sicher kompliziert. Aber der Trend kehrte sich bereits wieder um. Und wir hoffen, dass es trotz dem Krieg neue Startups geben wird. Wir sind eine innovative Nation, das ändert sich nicht von einem Tag auf den anderen. Die vielen Hubs existieren noch, und es gibt zahlreiche Mechanismen, um junge Unternehmerinnen und Unternehmer zu unterstützen.
Was auch schwieriger werden könnte, ist die Zusammenarbeit zwischen der Schweizer und der israelischen Armee. Die Schweizer Armee hat mehrere militärische Produkte von Israel gekauft, und Israel hat der Schweizer Armee garantiert, dass Israel allenfalls nötige Reparaturen und Wartungsarbeiten vornehmen wird. Glauben Sie, dass Israel unter den gegenwärtigen Umständen ein zuverlässiger Partner sein kann, wenn es um die spezifischen Bedürfnisse der Schweizer Armee geht, oder ist das ein Sicherheitsrisiko?
Davon sind wir weit entfernt. Die israelische Sicherheitsindustrie ist weltbekannt für ihre hohe Qualität und ihre Effizienz. Ich sehe nicht, dass die militärische Partnerschaft mit der Schweiz in irgendeiner Weise gefährdet sein könnte.
Israel könnte das Material mittelfristig selbst benötigen, einen anderen Fokus haben. Vielleicht fehlt auch das Geld. Dazu kommt der Braindrain. Und dann hat all die Technologie Israel offensichtlich auch nicht geholfen, den Angriff vorherzusehen.
Wenn der Krieg vorbei ist, müssen wir uns noch genau anschauen, wie es dazu kommen konnte. Und was schiefgelaufen ist. Aber auch wenn unsere Geschichte voller Kapitel ist, in denen wir bedroht wurden, ist die Existenz des Staates Israel nicht in Gefahr. Auch aus dieser Situation werden wir stärker als zuvor hervorgehen.