Einen Tag nach der Vertragskündigung durch US-Präsident Donald Trump sieht Hassan Ruhani die Debatte um das iranische Atomwaffenprogramm ganz pragmatisch. So lange sein Land etwas davon habe, hat der iranische Präsident seine Partner in Europa, Russland und China wissen lassen, werde der Iran sich an die 2015 vereinbarten Auflagen halten:
- Keine Nuklearforschung für militärische Zwecke
- Keine Urananreicherung über die für die zivile Energie-Nutzung erforderlichen 3,5 Prozent hinaus
- Der Verzicht auf die Herstellung von Plutonium
- Und die Möglichkeit für die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, die iranischen Nuklear-Einrichtungen jederzeit und unangekündigten kontrollieren zu können.
Doch im Nachsatz hat Präsident Ruhani auch eine Warnung geschickt: Sollten die dem Iran versprochenen westlichen «Dividenden-Zahlungen» in Form von Aufhebung der Wirtschaftssanktionen und neuen Investitionen ausbleiben, könnte das militärische Nuklearprogramm «in nur wenigen Tagen» wieder hochgefahren werden.
15 Monate bis zur Bombe
15 Monate würde es dann nach Ansicht der IAEA-Experten bis zur ersten einsatzfähigen Atombombe des Iran dauern - einschliesslich der für den militärischen Einsatz so wichtigen Miniaturisierung des Sprengkopfs. Die für den Transport der Bombe nötigen Raketen sind schon seit längerem getestet und einsatzbereit.
Mit dieser Position hat sich Ruhani zunächst einmal Spielraum in der iranischen Innenpolitik verschafft. Die religiös-konservativen Falken um den obersten Revolutionsführer Ali Khamenei, die das Atomabkommen – ähnlich wie Donald Trump – schon immer bekämpften, setzen auf das endgültige Scheitern des Vertrags. Sie hoffen, dass Reformpräsident Ruhani in den kommenden Tagen und Wochen von den verbliebenen Partnern kein eindeutig positives und in seinen ökonomischen Auswirkungen klar quantifizierbares Signal erhält, das Teheran den Ausstieg aus dem Abkommen verbieten würde.
Erst dann wäre für die Falken in der Madschles, dem iranischen Parlament, der Weg frei, die Bevölkerung gegen «den Westen» zu mobilisieren und auf den Strassen den für einen politischen Kurswechsel notwendigen Druck auf die Ruhani-Regierung zu organisieren.
Die ersten Stunden nach der scharfen, oft sogar beleidigenden Rede Trumps haben indes gezeigt, wie schwierig es diesmal sein dürfte, den Massenprotest – wie so oft in der Vergangenheit – über die radikal-schiitische Schiene zu schüren. Der Traum einer islamisch konservativen, wirtschaftlich aber erfolgreichen Gesellschaft ist längst verflogen.
Unterstützung für die islamische Revolution finden die Mullahs vor allem noch in den ärmeren und ungebildeten Schichten in den urbanen Aussenbezirken und dem ländlichen Raum. Die jüngeren Generationen, die Akademiker, der Mittelstand und die traditionell hoch angesehenen Basari haben der schiitischen Theokratie vor Jahren schon den Rücken gekehrt.
Enttäuschte Hoffnungen
Und das, obwohl die Mehrheit der Iraner von den Entwicklungen der letzten Jahre tief enttäuscht ist. Der nach der Unterschrift des Atomabkommens erhoffte Wirtschaftsboom ist ausgeblieben. Der Warenaustausch mit der Europäischen Union ist langsamer gewachsen als erwartet. Im Jahr 2017 machte das Iran-Geschäft nur 0,6 Prozent des gesamten EU-Aussenhandels aus. Die Exporte der Schweiz in den Iran konnten im gleichen Jahr die Eine-Milliarde-Dollar-Schwelle nicht knacken.
Unter Ruhani haben die Ölgeschäfte des Iran zwar wieder deutlich zugenommen. Doch der Investitionsrückstau und die grassierende Korruption haben dafür gesorgt, dass auch unter dem Reform-Präsidenten nur ein geringer Teil dieser Mehreinnahmen bei den 80 Millionen Einwohnern tatsächlich ankommt. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei über 11 Prozent.
Die triste Wahrheit nach bald vierzig Jahren schiitischer Revolution und permanenter Rückschläge ist bitter: Der Iran ist ein wirtschaftlich und gesellschaftlich ausgelaugtes Land.
USA macht Druck auf Europa
Und die Chancen, dass die nach dem Austritt der USA aus dem Atomvertrag verbliebenen Partner daran kurzfristig etwas ändern könnten, sind gering. Denn so, wie Donald Trump der US-Wirtschaft den Zugang zu dem iranischen Markt verbietet, will der Präsident auch verhindern, dass andere von diesem von ihm geschaffenen Vakuum profitieren. Nach der Androhung von Strafzöllen auf Stahl und Aluminium hat Trump eine zweite Front gegen die europäischen Wirtschaftsnationen eröffnet.
Wie der Befehl an einen Vasallen klang die Aufforderung von Richard Grenell, dem neuen US-Botschafter in Berlin, an die deutsche Industrie, sich «sofort» aus dem Irangeschäft zurückzuziehen. Das Weisse Haus spricht von einer Galgenfrist von höchstens 120 Tagen. Wer sich diesem Diktat nicht beugen will, soll nach amerikanischem Recht bestraft und sanktioniert werden können.
Trump weiss: Auch wenn die Empörung über eine solche dreiste Erpressung gross ist – europäische Konzerne können sich den Ausschluss vom US-Markt nicht lange leisten.
Treffen mit Europa nächste Woche
Schon in der kommenden Woche wollen sich die Aussenminister Deutschlands, Frankreichs und Grossbritanniens mit Vertretern der iranischen Regierung treffen. Dann erwartet die Delegation aus Teheran von den Europäern mehr als freundlich-diplomatische Absichtserklärungen. Um seinen Kurs der schrittweisen Öffnung des Iran und der Einhaltung der rein zivilen Nutzung der Atomenergie fortsetzen zu können, braucht Ruhani feste wirtschaftliche und politische Zusagen.
Ohne solche dürfte der Iran sein Atombombenprogramm schon bald wieder aufnehmen. Schliesslich hat auch Ruhani von Nordkorea gelernt: Wer die nukleare Vernichtungstechnik beherrscht und sie auch einsetzen kann – der kann auch den irrlichternden amerikanischen Präsidenten an den Verhandlungstisch zwingen.